AUFKLÄRUNG | |||||||
Aufklärung | |||||||
In Frankreich wurden die Reformierten (Hugenotten) von katholischen Adligen verfolgt. Spanien mischte sich auf katholischer, England auf reformierter Seite ein. Die Glaubenskriege begannen 1562 zur Zeit des noch unmündigen Königs Charles IX., für den seine italienische Mutter Katharina v. Medici die Regentschaft führte. 1572 wurden in der Bartholomäusnacht 20'000 Hugenotten ermordet. Die Hugenotten leisteten erbitterten Widerstand. Viele Hugenotten flüchteten in die Schweiz, wo sie einen wichtigen Anteil an der wirtschaftlichen Entwicklung hatten. 1598 endlich erliess Henri IV. von Bourbon das Edikt von Nantes, in dem den Hugenotten eine gewisse Glaubensfreiheit und politische Gleichberechtigung zugesichert wurden.
Beeindruckt von Frankreich, verfeinerte der englische Philosoph Thomas Hobbes (1588 - 1679) in seinem Werk "Leviathan" (1651) die Theorie von Bodin: Weil die Menschen von Natur aus zum Krieg aller gegen alle neigten, würden sie - aus reinem Selbsterhaltungstrieb - zu einem Vertrag gezwungen, in dem sie ihre natürlichen Rechte unwiderruflich dem Staat abtreten, der die Herrschaft über alle Untertanen absolut ausübt, am vollkommensten in einer Person, dem König.
Der Dreissigjährige Krieg begann 1618 als Religionskrieg: Als Erzherzog Ferdinand von Habsburg, der 1596 im Rahmen der katholischen Gegenreformation die Andersgläubigen in der Steiermark, in Kärnten und Krain brutal ausgerottet hatte, durch einen Erbhandel ohne Zustimmung des lokalen Adels König von Böhmen werden sollte und protestantische Kirchen zerstören liess, warfen aufgebrachte Protestanten seine Beamten aus dem Fenster (Prager Fenstersturz) um ihrer Forderung nach Religionsfreiheit Nachdruck zu verleihen. 1619 wurde Ferdinand II. zum deutschen Kaiser gewählt, von Böhmen nicht anerkannt.
Der Kaiser versuchte sich mit Unterstützung des Papstes und Truppen aus Spanien durchzusetzen. Mit finanzieller Unterstützung aus England, Frankreich und den Niederlanden mischte sich 1625 der dänische König Christian IV. ein. 1630 griff der schwedische König Gustav II. Adolf zum Schutz der protestantischen Sache, aber auch aus eigenem Machtinteresse ein, ab 1635 auch Frankreich. So endete der Krieg als Kampf der grossen Nationen um die Vormacht in Europa. Geführt wurde er weitgehend von Söldnertruppen, die selten entlöhnt wurden und sich durch Plünderungen schadlos hielten. So brachte der Krieg unermessliches Leid über die Zivilbevölkerung Mitteleuropas.
Kriegsmüde geworden, rauften sich die Parteien endlich 1648 zum Westfälischen Frieden zusammen:
Nach den Auswüchsen geballter königlich - kirchlicher Machtansprüche in Frankreich und Deutschland musste das Pendel zwangsläufig wieder in die Gegenrichtung ausschlagen: Die grosse Ausbreitung des evangelischen (am deutschen Reformator Martin Luther orientierten) und reformierten (an den Schweizer Reformatoren Zwingli und Calvin orientierten) "neuen" Glaubens einerseits und die praktischen Erfolge der modernen Naturwissenschaft andererseits hatten längst die mittelalterliche Gewissheit einer angeblich "allein selig machenden" Wahrheit, die von der römisch - katholischen Kirche mit dem Papst an der Spitze gehütet werde, in ihren Grundfesten erschüttert. Die Gräuel des Dreissigjährigen Krieges trugen ein übriges dazu bei, die Glaubwürdigkeit der Kirchen (auch der protestantischen) zu untergraben. Die Kirche konnte nun Leute, die ihre Lehren in Frage stellten, nicht mehr einfach als gottlose Ketzer bezeichnen und mit der Androhung der Todesstrafe zum Schweigen bringen, denn man konnte sich innerhalb Europas in einem protestantischen Gebiet vor ihrem Zugriff in Sicherheit bringen.
Bald schon wurden nicht nur die Lehren der Kirche kritisch hinterfragt, sondern grosse Philosophen (Leute, die über die Welt, die Menschen und den Sinn des Lebens nachdenken) begannen ganz grundsätzlich nach den Regeln des Zusammenlebens der Menschen, nach den Aufgaben des Staates und den Rechten und Pflichten der einzelnen Menschen zu fragen. Dabei nahmen sie nichts mehr für selbstverständlich, was Jahrhunderte lang gültig gewesen war, sondern zweifelten immer mehr daran, ob die Ordnung, wie sie in Europa seit der Zeit des Frankenreiches herrschte, wirklich die bestmögliche sei.
Der Italiener Galileo Galilei (1564 - 1642) und der Engländer Sir Isaac Newton (1643 - 1727) sind heute vor allem noch als Mathematiker, Astronomen und als Begründer der Physik als exakte Naturwissenschaft bekannt. Die Erkenntnisse des Priesters (!) und Astronomen Nikolaus Kopernikus (1473 - 1543) über die Stellung der Erde im Weltall und die vertieften Beobachtungen Galileis, besonders aber die philosophischen Schlussfolgerungen, die er daraus zog, standen zu ihrer Zeit in offenem, scharfem Widerspruch zur Lehre der Kirche. 1632 wurde Galilei von einem kirchlichen Gericht verurteilt und musste seine Lehren widerrufen, um der Todesstrafe zu entgehen. Sowohl Galileis wie Newtons philosophische Gedanken sind heute weitgehend in Vergessenheit geraten, sie beeinflussten zu ihrer Zeit aber andere Denker und wirken so nach.
John Locke (1632 - 1704) erklärte in seiner Schrift "Two treatises of government" (1690), dass jeder Mensch ein Recht auf Gleichheit (gleiche Behandlung ungeachtet der Herkunft), Freiheit und Unverletzlichkeit seiner Person und seines Eigentums habe. Zudem sollten im Staat nicht die gleiche Leute Gesetze machen (Legislative) und diese umsetzen (die staatliche Verwaltung führen, Exekutive). Das Volk sollte die Regierungsform selbst bestimmen können. Seine Ideen bestimmten wesentlich die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika (U.S.A.) von 1776, den französischen Verfassungsentwurf von 1791 und damit indirekt auch die Schweizerische Bundesverfassung von 1848. Locke machte sich auch Gedanken über das Verhältnis zwischen der individuellen Freiheit des einzelnen Menschen und der Gleichheit aller Menschen in einem Land. Er erkannte sehr wohl, dass zu grosse Ungleichheit entsteht, wenn jeder ohne Rücksicht auf die anderen machen darf, was er will - denn dann werden die Starken zu mächtig und übervorteilen die Schwächeren.
Der Franzose Charles de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu (1689 - 1755) gilt als Vorläufer für fast alle Sozialwissenschaften. In seinen 1721 anonym [ohne Nennung seines Namens] veröffentlichten "Persischen Briefen" kritisierte er scharf die Zustände in Frankreich. Er entwickelte John Lockes Idee der Gewaltentrennung im Staat weiter, ein Prinzip, das in allen modernen Staatsverfassungen ganz wichtig ist: Legislative (Parlament = gesetzgebende, gewählte Vertretung des Volkes), Exekutive (ausführende Regierung) und Judikative (richterliche Gewalt) sollten sich gegenseitig kontrollieren, damit nicht einzelne Personen oder Gruppen zu mächtig werden und sich selbst Vorteile verschaffen, statt dem Gemeinwohl zu dienen.
Der französische Dichter und Philosoph Voltaire (1694 - 1748) machte in seinen Satiren den König, seine Regierungsmitglieder und wichtige Kirchenleute durch Übertreibung lächerlich und versuchte so, den Leuten die Fehler und Schwächen der angeblich von Gott eingesetzten Herrscher aufzuzeigen. In seinem Roman "Candide oder Die beste Welt" wird die Behauptung des konservativen deutschen Philosophen Leibnitz ad absurdum geführt [ihre Sinnlosigkeit aufgezeigt], die Leute zur Zeit Voltaires würden in der "besten aller möglichen Welten leben". Wir heute haben es natürlich leicht, darüber zu lachen, denn im Nachhinein ist man bekanntlich ja immer schlauer ... Voltaire war 1717 wegen einer bissigen Satire fast ein Jahr lang inhaftiert und entzog sich weiteren Verfolgungen durch Flucht.
Der Genfer Jean-Jacques Rousseau (1712 - 1778) verbrachte die meiste Zeit seines Lebens in Frankreich und gilt deshalb als französischer Philosoph. Auch er musste zeitweise in die Schweiz zurück kehren, um der Verfolgung zu entgehen. In seiner politischen Philosophie forderte er gleiche Rechte für alle Bürger unter einer demokratisch ausgeübten Kontrolle. Rousseau ging davon aus, dass die Menschen von Natur aus frei und gleich und dazu fähig seien, über sich selbst zu bestimmen. Dies war im Wesentlichen genau das Gegenteil der Staatstheorie von Thomas Hobbes. Rousseau forderte statt der Abtretung aller Rechte an den absoluten Staat einen in Freiheit ausgehandelten contrat social [Gesellschaftsvertrag]. Rousseaus Weltbild stand auch in einem scharfen Gegensatz zur Fortschritts- und Wissenschaftsgläubigkeit vieler seiner Zeitgenossen. Sein Ruf "zurück zur Natur" ist vor diesem Hintergrund zu verstehen. Rousseaus Erziehungstheorie, ebenfalls 1762 veröffentlicht, beeinflusste berühmte Erzieher (u.a. den Schweizer Heinrich Pestalozzi) nachhaltig.
Hobbes hatte aus der an sich richtigen Erkenntnis, dass die Menschen von Natur aus im wesentlichen Egoisten sind, die nur auf ihren eigenen Vorteil schauen, den falschen Schluss gezogen, dass ein mächtiger König für Ruhe und Ordnung sorgen müsse. Dabei übersah er, dass jeder König selbst auch ein Mensch und damit ein Egoist ist, und dass Macht korrumpiert (den Charakter verdirbt). Dies hätte Hobbes am Beispiel des Mönches Hildebrand, der - als Reformpapst Gregor VII. (1073 - 1085) gewählt - sich zu einer beispiellosen Arroganz der Macht verstieg, eigentlich erkennen können.
Rousseau dagegen machte sich Illusionen [mehr seinem Wunsch als der Wirklichkeit entsprechende Vorstellungen] von der Natur des Menschen, kam aber trotzdem zu der in der Geschichte seither bewährten Einsicht, dass alle Menschen die Ordnung der menschlichen Gesellschaft mitbestimmen sollten und dass sie unveräusserliche Grundrechte besitzen, die jede Gesellschaftsordnung garantieren muss, wenn sie Bestand haben soll. Rousseau überschätzte bei weitem die "angeborenen Stärken" der Menschen, insbesondere ihre Fähigkeiten, vorausschauend, vernünftig und mit Blick auf das Gemeinwohl statt auf den kurzfristigen persönlichen Vorteil zu entscheiden. Er erwartete, dass sie, einmal von der hergebrachten mittelalterlichen Gesellschaftsordnung befreit, ohne weiteres zu einer volonté générale [einem allgemeinen Volkswillen] finden würden. Den Wert von Gesetz und Erziehung im althergebrachten Sinn achtete er zu gering. So erstaunt es nicht, dass sich seine praktischen Erziehungsvorschläge schon beim eigenen Sohn nicht sonderlich bewährten. Die volonté générale, von Rousseau nicht fertig durchdacht, konnte nicht nur demokratisch verstanden werden, sondern wurde auch in der französischen Revolution wie im Kommunismus als Rechtfertigung für Diktaturen benützt.
Rousseaus Bedeutung liegt deshalb mehr in den Denkanstössen, die seine Ideen bei anderen Philosophen (u.a. Kant, Schiller, Goethe, Herder) auslösten. Ihm verdankt die Welt die in jeder modernen Verfassung seit der US-amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 enthaltene Garantie der Grundrechte und den Anstoss zur "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" die von der UNO 1948 unter dem Eindruck der Gräuel des 2. Weltkriegs erlassen wurde.
Nicht nur das politische System, auch die Rechtssprechung, insbesondere die Hexenverfolgung, und die Methode der Folter, um Geständnisse zu erpressen, wurden nun kritisch hinterfragt. Der Schriftsteller Gotthold Ephraim Lessing (1729 - 1781) ist der einzige bedeutende Vertreter der Aufklärung im deutschen Sprachraum. Im Drama "Nathan der Weise" (1779) stellte er die Frage nach der religiösen Wahrheit - und forderte statt einer Antwort dazu auf, dass jede Religion durch ihre menschenfreundlichen Taten statt durch endloses Gezänk beweisen sollte, dass sie die richtige sei.
In der Schweiz wurde das Gedankengut der Aufklärung von Persönlichkeiten wie Johann Caspar Lavater, Johann Jakob Breitinger und Johann Jakob Bodmer verbreitet. Das Vertrauen in den eigenen Verstand löste das mittelalterliche Vertrauen auf Gott ab, das auch in der Reformation und Gegenreformation (Ignatius von Loyola / Jesuiten) nicht in Frage gestellt, sondern vielmehr noch stärker betont worden war. In der katholischen Kirche wurden Feiertage eingeschränkt und einzelne Klöster aufgehoben. In den reformierten Kirchen begann zaghaft eine gewisse Toleranz gegenüber Minderheiten und man bemühte sich, den Glauben mit der Vernunft in Einklang zu bringen. Die Umstände, unter denen einzelnen Bücher der Bibel entstanden, wurden nun durch Vergleiche mit ausserbiblischen Geschichtsquellen und vergleichenden Sprachstudien erforscht. Das Klima zwischen den Katholiken und Reformierten entspannte sich.
Der Pädagoge [Erzieher] Johann Heinrich Pestalozzi (1746 - 1827) gründete 1775 auf dem Neuhof in Birr AG eine Erziehungsanstalt für 50 arme Kinder. Das Experiment, praktische Arbeit mit Schulbildung zu verbinden, scheiterte zwar aus wirtschaftlichen Gründen, aber seine Schriften fanden eine begeisterte Aufnahme. Pestalozzi bewährte sich als Leiter des Waisenhauses von Stans (1798 - 1800) und einer Internatsschule in Yverdon VD (bis 1825). Durch seine Schriften wurde er zum Wegbereiter der Volksschule und der Lehrerbildung. Pestalozzi gab aufklärerischen Idealen wie allgemeine Menschenbildung, Überwindung der Standesunterschiede, Anerkennung der Menschenwürde, Hebung der Volksbildung wichtige Impulse. Sein Grundprinzipien, dass die Schule Kopf, Herz und Hand gleichermassen ansprechen müsse und die Erkenntnis, dass Selbsttätigkeit für den Lernerfolg wesentlich ist, haben bis heute Gültigkeit.
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