SCHWEIZER GESCHICHTE
 
Home Sitemap Zeittafel SONDERBUNDSKRIEG
BUNDESSTAAT 1848
this page in English  
Erdgeschichte Urmenschen Eiszeiten Steinzeit Pfahlbauer Helvetier Römerzeit Alamannen
Mittelalter Eidgenossen Reformation Aufklärung Helvetik Mediation Bundesstaat Kulturkampf
Industrialisierung Verkehr Kommunikation 1.Weltkrieg 2.Weltkrieg Wohlstand Computer 2000-2005

Schweizer Geschichte

Der Weg zum modernen demokratischen Bundesstaat

Die Regeneration um 1830

   

Unter dem Eindruck der französischen Julirevolution von 1830 setzte in der Schweiz eine liberale Erneuerungsbewegung ein, die Regeneration genannt wird. Gefordert wurden Volkssouveränität [grundlegende staatliche Macht beim Volk] und Rechtsgleichheit. Bis 1831 erneuerten 12 Kantone (SO, FR, LU, SG, ZH, TG, AG, VD, SH, BE) ihre Verfassungen und schafften die Aristokratie [Adelsherrschaft] bzw. das Patriziat [Herrschaft weniger alteingesessener Familien] ab.

Die Aufhebung der Pressezensur in vielen Kantonen liess die Zahl der politischen Zeitungen und Zeitschriften zwischen 1830 und 1834 von 29 auf 54 ansteigen. Die Bildung wurde gefördert. Das Bildungsgesetz des Kantons Zürich von 1832 führte zur Neuorganisation der Volksschule und zur Gründung eines Lehrerseminars, einer Kantonsschule und der Universität Zürich (1833). Der Thurgau folgte mit dem Lehrerseminar in Kreuzlingen, Bern 1834 mit der Universität und 1838 mit dem Kolleg in Thun und dem Lehrerseminar in Münchenbuchsee. Ausgebildete Lehrer und Lehrerinnen lösten nun angelernte Bauern und Handwerker in der Volksschule ab. Dabei ging allerdings auch der Bezug zur Praxis teilweise verloren.

Abspaltung des Kantons Baselland von Basel-Stadt

In Basel weigerten sich die Städter, der Landbevölkerung mit der neuen Verfassung gleiche Rechte zuzugestehen. Daraufhin gaben sich die Baselbieter Gemeinden eine eigene Verfassung. Zwei Versuche der Stadt, ihre Vorrechte militärisch durchzusetzen, endeten mit Niederlagen. Die Tagsatzung anerkannte mit knappen Mehrheiten 1832 (vorläufig) und 1833 (definitiv) die Teilung von Basel in zwei Halbkantone .

Auch in Schwyz kam es zur Abspaltung eines Kantons Ausserschwyz, die Tagsatzung zwang hier aber beide Parteien an den Verhandlungstisch und erreichte 1833 die Wiedervereinigung unter einer neuen Verfassung.

Die Idee vom Bundesstaat (1833)

Der Luzerner Paul Vital Ignaz Troxler brachte 1833 in seiner in Zürich gedruckten Schrift "Die eine und wahre Eidgenossenschaft im Gegensatz zur Centralherrschaft und Kantonstümelei" den Bundesstaat nach Vorbild der Vereinigten Staaten von Amerika (USA) in die Diskussion. Das seit der Bundesverfassung von 1848 geltende Staatsmodell (s. unten) wurde der Zentralschweiz also nicht einfach aufgezwungen, wie man nach isolierter Betrachtung des Sonderbundskrieges (s. unten) meinen möchte, sondern stammte aus dem traditionellen Vorort der Zentralschweiz selbst!

Die Tagsatzung liess 1833 eine gemässigt liberale Bundesverfassung ausarbeiten. Sie sah eine Tagsatzung mit 44 Mitgliedern, einen fünfköpfigen Bundesrat und ein Bundesgericht vor. Die Kompetenzen [Machtbefugnisse] des Bundes wären wesentlich geringer als bei der späteren, im Kern noch heute gültigen Verfassung von 1848 (s. unten) gewesen. Insbesondere fehlte ein Nationalrat, der nach der Bevölkerungszahl zusammengesetzt den grossen Kantonen mehr Gewicht als den kleinen Kantonen der Zentralschweiz gibt. Luzern war als Sitz der Bundesverwaltung vorgesehen und hätte damit zusätzlichen Zentralschweizer Einfluss geltend machen können - doch die Chance wurde verpasst. Der Entwurf ging den Konservativen zu weit, den Liberalen dagegen nicht weit genug. Für den Entwurf sprachen sich nur ZH, GL, FR, SH, SG, GR, GE, SO, BL und TG aus, die grossen reformierten Kantone BE und BS lehnten sie ebenso ab wie die Zentralschweiz, während die mehrheitlich katholischen Kantone FR und SO bei den Befürwortern zu finden waren. Dies zeigt, dass die Trennlinie zwischen Konservativen [die alte Ordnung Bewahrenden] und Liberalen [Verfechtern der bürgerlichen Freiheiten] bzw. Radikalen [darüber hinaus die Wurzeln der Gesellschaftsordnung grundsätzlich in Frage stellenden Liberalen] keineswegs eine konfessionelle [vom Glaubensbekenntnis abhängige] war!

Vereinheitlichung von Mass und Gewicht

In einigen Kantonen wurde 1838 das metrische Mass- und Gewichtssystem (mit den Grundeineinheiten Meter und Gramm) eingeführt, viele Kantone wollten sich aber nicht anschliessen. Bis dahin gab es unter anderem allein in der Schweiz elf verschiedene Längen unter der Bezeichnung "Fuss", 81 verschiedene Flüssigkeitsmasse und das Pfund entsprach in Aarau 483 g, in Bern 520 g und in Schaffhausen 459 g. Dies erschwerte den Handel zwischen den Kantonen. In der Restauration waren die meisten Kantone auch wieder zu den alten Münzen zurückgekehrt. Eine schweizweite Lösung des Problemes brachte allerdings erst das Gesetz über Mass und Gewicht von 1877, für das die 1874 revidierte Bundesverfassung eine ausreichende Verfassungsgrundlage brachte. Ein erster Anlauf hatte 1866 zwar knapp das Volksmehr erhalten, war aber am erforderlichen Ständemehr gescheitert: 12 ½ kleine Kantone konnten die Vereinheitlichung noch einmal hinauszögern.

Bedeutende Schriftsteller

Unter dem Pseudonym [Künstlernamen] Jeremias Gotthelf veröffentlichte der reformierte Emmentaler Pfarrer Albert Bitzius (1797 - 1854) Romane (Der Bauernspiegel, Uli der Knecht, Uli der Pächter, Anne Bäbi Jowäger, Zeitgeist und Berner Geist, Erlebnisse eines Schuldenbauers), Erzählungen und politische Schriften. Gotthelf wandelte sich vom ursprünglich liberalen Denker zum erbitterten Gegner des Radikalismus. Dennoch vereinigte er eine christlich - konservative Sicht mit Anliegen der modernen Pädagogik Pestalozzis, begründete in Sumiswald ein Erziehungsheim für Knaben aus armen Familien und stellte schon 1841 die Kinderarbeit in Frage (vgl. zum Fabrikgesetz von 1877).

Der Stadtzürcher Gottfried Keller (1819 - 1890) wollte eigentlich Maler werden, beteiligte sich in den 1840er Jahren an der liberalen Bewegung Zürichs und studierte in München, Heidelberg und Berlin. Zu seinen Werken zählen der Bildungsroman "Der grüne Heinrich", der Novellenzyklus "Die Leute von Seldwyla", darin: "Kleider machen Leute", die Erzählungen "Das Fähnlein der sieben Aufrechten", "Der Landvogt von Greifensee" und die "Sieben Legenden", mehrere Gedichtbände und der politische Roman "Martin Salander". Sie sind geprägt von sittlichem Ernst, Zeitkritik, feine Ironie und Parodie auf Kleinbürgertum und mythologisch verstandene Religion. Der idealistische Optimismus des jungen Keller wich mit der Zeit grimmiger Skepsis.



Provokationen und Machtkampf zwischen Konservativen und Liberalen

Papstkirche oder Volkskirche - eine zuerst innerkatholische Auseinandersetzung

1832 nahm Papst Gregor XVI. in einer Enzyklika [päpstliches Lehrschreiben zu aktuellen Fragen] gegen die moderne Kultur, die liberale Denkweise und die "unverschämte Wissenschaft" Stellung. Die Bischöfe in der Schweiz fügten sich den Weisungen des Papstes. Der Pfarrer Alois Fuchs trat dagegen öffentlich für eine demokratische Kirchenverfassung ein und wurde vom Bischof 1833 seines Amtes enthoben. Auf Anregung des Luzerner Regierungsrates Eduard Pfyffer traten daraufhin liberale Abgeordnete aus den Kantonen BE, LU, SO, BL, AG, TG und SG in Baden AG zusammen und verlangten in den so genannten "Badener Artikeln" die Schaffung eines Schweizer Erzbistums, die Einführung von Kirchensynoden [kirchlichen Volksvertretungen], das Recht des Staates, kirchliche Erlasse zu genehmigen oder abzulehnen, den Schutz der Mischehen, kantonale Aufsicht über die Priesterseminare und Ordensgeistliche sowie die Besteuerung der Klöster. Die Badener Artikel fanden in den Grossen Räten von LU, BL, SG, AG und TG Zustimmung, wurden aber nach heftigem Abstimmungskampf vom St. Galler Volk abgelehnt. Der Papst, Frankreich und Österreich verlangten die Rücknahme der Artikel.

Konservativer Umschwung im reformierten Zürich

In Zürich erweckte die gutgemeinte Reform des Volksschulwesens, die zu einer Reduktion der Kinderarbeit geführt hätte, den Unmut der Bauern und der Fabrikanten. Der liberale Regierungsrat berief 1839 den deutschen Theologen David Friedrich Strauss an die Universität, der mit der Schrift "Das Leben Jesu, kritisch betrachtet" 1835 an den Hochschulen eine Welle kritischer Bibelforschung, im breiten reformierten Kirchenvolk dagegen massivsten Protest ausgelöst hatte. Umgehend bildete sich ein "Glaubenskomitee", das die Versetzung von Strauss in den Ruhestand erzwang. Der Machtkampf ging jedoch weiter, die Zürcher Regierung trat nach einem Marsch bewaffneter Oberländer Bauern zurück und Neuwahlen brachten den Sieg der konservativen Opposition. Im Tessin putschten die Liberalen nach der Niederlage in den Wahlen von 1839 mit Waffengewalt. Die Luzerner behielten mit der revidierten Verfassung von 1841 wohl die direkte Demokratie und die Gewaltenteilung bei, machten jedoch die Säkularisierung [Ablösung der kirchlichen durch staatliche Kontrolle] im Erziehungswesen nochmals für einige Jahrzehnte rückgängig.

Die Klosteraufhebung im Aargau (1841)

Im Aargau führte die vom Volk 1841 mit 16'050 zu 11'484 Stimmen angenommene vierte Verfassung mit Aufhebung der konfessionellen Parität im Grossen Rat zu einem Aufstand der katholischen Gebiete (Fricktal, Freiamt, Baden), der mit Waffengewalt niedergeschlagen wurde. Der katholische Seminardirektor Augustin Keller bezeichnete daraufhin die Klöster als Quellen aller Übel und Drahtzieher des konservativen Putschversuches und forderte deren Aufhebung. Diese wurde vom Grossen Rat sofort beschlossen, verletzte aber den Bundesvertrag von 1815 und löste in den katholischen Kantonen heftige Empörung aus. In der Tagsatzung schlug sich der reformiert - konservative Zürcher Vertreter auf die Seite der konservativen Katholiken. Seite. Die Aargauer Regierung lenkte nur teilweise ein und stellte die Frauenklöster wieder her, die Männerklöster blieben aufgehoben, ohne dass die Tagsatzung eingeschritten wäre. Als jedoch die Tagsatzung 1843 die Sache für erledigt erklärte, formierte sich konservativer Widerstand. Im Wallis führten die Wahlen von 1843 zu einer konservativen Mehrheit und 1844 zu einer neuen, kirchenfreundlicheren Verfassung.

Berufung der Jesuiten nach Luzern (1844)

Der Grosse Rat des Kantons Luzern rief 1844 die Jesuiten zur Leitung des Pfarrdienstes und der Priesterausbildung nach Luzern zurück, obwohl besonnene Konservative wie der Ratsschreiber Bernhard Meyer und der Schultheiss [Regierungspräsident] Konstantin Siegwart - Müller davor gewarnt hatten, die Liberalen zu provozieren. Der radikale Katholik Augustin Keller, der schon bei der Aargauer Klosteraufhebung 1841 treibende Kraft gewesen war, versuchte auf der Tagsatzung einen Beschluss gegen die Jesuitenberufung zu erwirken, doch sein Antrag wurde mit den Stimmen der katholischen und der reformierten konservativen Kantone abgelehnt.

Freischarenzüge (1845)

Die enttäuschten Liberalen und Radikalen wollten sich mit den Mehrheitsentscheiden des Grossen Rates von Luzern und der Tagsatzung, die in etwa auch der Volksmeinung entsprochen haben dürften, nicht abfinden. 1845 marschierten bunt zusammengewürfelte Scharen von bewaffneten Radikalen aus den Kantonen LU, BE, SO, AG und BL Richtung Luzern. Es kam zu Gefechten bei Malters LU und Littau LU, bei denen die Freischärler 185 Tote und 1785 Gefangene verloren. Im Sommer wurde der Führer der Luzerner Konservativen, Joseph Leu von Ebersol in seinem Schlafzimmer ermordet. Die noch ungefestigte politische Kultur der Regenerationszeit drohte im Chaos von politsch motivierten, aber dewegen keineswegs entschuldbaren Gewaltakten zu versinken. Die Tagsatzung stimmte klar für ein Verbot der Freischarenzüge.



Der Sonderbundskrieg

Der Sonderbund der alten katholischen Kantone

Die konservativen Regierungen begnügten sich aber nicht damit, dass die Tagsatzung ihre Positionen unterstützte (Duldung der Jesuiten, Verbot der Freischarenzüge). Die Kantone LU, UR, SZ, OW, NW, ZG, FR und VS bildeten unter Führung des Luzerner Schultheissen Konstantin Siegwart - Müller eine zunächst geheimgehaltene Schutzvereinbarung zur Wahrung ihrer legitimen [rechtmässigen] Ansprüche auf Selbstbestimmung nach den kantonalen Verfassungen und zur Verteidigung ihres Gebietes. Die Wahl der Partner entsprach bis auf SO, das durch VS ersetzt wurde, dem gegenreformatorischen Bündnis von 1586 und bis auf AI den Kantonen, die 1874 die Totalrevision der Bundverfassung ablehnten. Mit der Jesuitenberufung und der Wahl der Partner gaben die Zentralschweizer Konservativen ihrer Sache gegen die Radikalen ein konfessionelles Etikett, das sie bis zu diesem Zeitpunkt nicht gehabt hatte, ein Etikett zudem, das in der Folge Katholiken in anderen Kantonen zu Feinden des Fortschrittes abstempelte und damit in eine unangenehme Minderheitsposition brachte, obwohl sie als einzelne Personen vielleicht gar nicht fortschrittsfeindlich waren. Als die Existenz dieses Sonderbundes im Juni 1846 bekannt wurde, löste sie bei den Reformierten einen Sturm der Entrüstung aus.


Erste Reaktion: Liberaler Umschwung in Bern, Genf und Basel

Damit wendete sich das Blatt: Die Wechselwähler [nicht fest an eine Partei gebundene Wahlberechtigte] sahen die Freiheit gefährdet und neigten wieder den Liberalen zu: 1846 gaben sich die bisher konservativen Berner eine liberale Verfassung, Genf wählte eine liberale Regierung. 1847 gaben sich Genf und Basel - Stadt liberale Verfassungen, das katholische(!) Gasterland (SG) entsandte nach Neuwahlen nur noch liberale Vertreter in den Grossen Rat, sodass auch Sankt Gallen das Lager wechselte. In Fribourg kam es zu einem liberalen Umsturzversuch. Umgekehrt machten der Papst, das protestantische(!) Preussen und Österreich Druck auf die Tagsatzung, um die alte Ordnung zu stützen, erreichten damit aber wohl das Gegenteil: Die ausländische Einmischung wurde, mit diplomatischen Nadelstichen garniert, energisch zurückgewiesen und die Tagsatzung erklärte am 20. Juli 1847 mit der nunmehr liberalen Mehrheit den Sonderbund für aufgelöst.

Hilferuf der Sonderbundskantone an Österreich

Nun rief Siegwart - Müller Österreich formell um Hilfe an und machte zugleich Vorschläge für eine Neuordnung der Kantonsgebiete im Fall eines Sieges. So sollten das Berner Oberland und das Simmental Obwalden und dem Wallis, die katholischen Bezirke des Aargaus Luzern angegliedert und Glarus zwischen Schwyz und Uri aufgeteilt werden. Zudem war ein eigener Kanton Pruntrut (Jura) geplant. Dies zeigt, dass die Konservativen ebensowenig Respekt vor dem Selbstbestimmungsrecht der Kantone hatten wie die liberalen Freischaren. Im August beschloss die Tagsatzung eine Revision des Bundesvertrages, im September wurden LU, SZ, FR und VS aufgefordert, die Jesuiten auszuweisen. Nach erfolglosen Verhandlungen wählten beide Seiten im Oktober mitlitärische Anführer.

General Dufours Verdienste im Sonderbundskrieg

Der eigentliche Sonderbundskrieg wurde vom Sonderbund mit Angriffen auf das Tessin und das Freiamt (AG) eröffnet, die Truppen der Tagsatzung marschierten zuerst gegen Fribourg und Zug. FR und ZG kapitulierten kampflos. Darauf kam es in Honau, Gisikon und Meierskappel zu Kämpfen, Luzern wurde besetzt. In den folgenden Tagen kapitulierten OW, NW, SZ, UR und VS, Siegwart - Müller setzte sich über den Simplonpass nach Italien ab. Der Oberbefehlshaber der Tagsatzungsarmee, General Guillaume Henri Dufour hatte seine Truppen dazu angehalten, unnötiges Blutvergiessen zu vermeiden und auf Plünderungen und Brandschatzungen zu verzichten. Sein Verdienst ist es, dass der Sonderbundskrieg schnell und mit lediglich insgesamt 86 Toten und 500 Verletzten beendet und weiteres Blutvergiessen verhindert werden konnte. Dufour ist übrigens auch Mitbegründer des Roten Kreuzes und "Vater" der modernen Landeskarten (1844 - 1864, auf seine Initiative hin wurde das Bundesamt für Landestopographie geschaffen).



Die Bundesverfassung von 1848

Nach der Niederlage des Sonderbundes sahen die liberalen und radikalen Befürworter einer stärkeren Zentralgewalt die Gelegenheit gekommen, ihr Anliegen umzusetzen. Immerhin waren sie besonnen genug, nicht wieder einen Einheitsstaat nach dem Vorbild der Helvetik aufzurichten, sondern beliessen den Kantonen weitgehende Selbstbestimmung, vor allem in Belangen, die sich als heikel erwiesen hatten (z.B. beim Schulwesen). Dankbar nahm man das an der US-amerikanischen Verfassung orientierte bundesstaatliche Modell des Luzerners Troxler (s. oben) auf. Trotzdem wurde die neue Verfassung nur von 15 ½ Kantonen (inkl. LU!) angenommen, SZ, ZG, VS, UR, NW, OW, AI, TI lehnten sie ab, in FR brachte man nicht den Mut zu einer Volksabstimmung auf.

Neue Kompetenzen des Bundes

Bundeshaus im Modell (Swissminiatur, Melide); 
Foto © 2001 M. Jud Immerhin wurden handlungsfähige Bundesbehörden [in der Schweiz oft mit dem Wort "eidgenössisch" gekennzeichnet] eingeführt. Der Bund sollte neu über Krieg und Frieden, Bündnisse und Staatsverträge entscheiden und bei Streitigkeiten zwischen den Kantonen eingreifen. Das Zoll-, Post- und Münzwesen fielen ebenfalls in die Hoheit der Bundesbehörden. Zum Sitz der Bundesregierung wurde Bern gewählt, das sich verpflichtet hatte, dem Bund möbilierte Amtsräume zur Verfügung zu stellen. Der erste Flügel des Bundeshaus wurde 1857 fertiggestellt, 1885 wurde die Erweiterung um den Mittelteil mit der charakteristischen Kuppel und den Ostflügel beschlossen, die 1902 fertiggestellt war.

Noch 1848 wurde ein Gesetz zur Übernahme der bisher privaten bzw. z.T. kantonalen Postdienste durch den Bund erlassen. 1849 wurden die Binnenzölle [Zölle innerhalb des Landes, an rund 400 wichtigen Strassen und Brücken] abgeschafft und die Zölle an den Landesgrenzen durch den Bund erhoben. 1850 folgte die Wiedereinführung des Schweizer Frankens als einzige offizielle Währung in allen Kantonen. 1851 wurde die Telegraphie [Übermittlung von Nachrichten über elektrische Fernleitungen mit Hilfe eines aus kurzen Impulsen (Punkten) und langen Impulsen (Strichen) zusammengesetzten Codes, des nach seinem Erfinder Samuel Morse benannten Morsealphabets] eingeführt. 1855 entstand in Zürich mit dem Eidgenössischen Polytechnikum die erste Hochschule des Bundes (heute Eidgenössische Technische Hochschule Zürich ETHZ). Der wohl berühmteste Student an der ETHZ war Albert Einstein.

Forstwesen: Im der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde der seit dem Mittelalter betriebene Kahlschlag der Wälder forgesetzt, ab 1830 verkauften viele Gemeinden und Kantone Staatswälder, die Bevölkerungszunahme und die einsetzende Industrialisierung mit Dampfmaschinen erhöhten den Energiebedarf. So kamen die neuen Artikel und das Forstgesetzzum Schutz des Waldes, die sich seither sehr bewährt haben und heute noch als wegweisend gelten, gerade noch rechtzeitig, um weitaus Schlimmeres als die Hochwasserschäden von 1834 und 1839 zu verhindern und eine nachhaltige Nutzung des Waldes einzuleiten, bevor es zu spät war.

Garantie der Grundrechte

Den Schweizerbürgern wurden die Gleichheit vor dem Recht, die Niederlassungs-, Religions-, Presse- und Vereinsfreiheit garantiert. Zudem wurde das Recht geschaffen, dass 50'000 (heute: 100'000) Bürger mit einer Unterschriftensammlung eine Verfassungsrevision verlangen können.

Bundeshörden

Oberstes Bundesorgan ist seit 1848 die Bundesversammlung, ein Zweikammer - Parlament (Legislative, gesetzgebende Behörde) nach US-amerikanischem Vorbild. Der Nationalrat repräsentiert die Bevölkerung nach Einwohnerzahl, wobei ursprünglich 1 Nationalrat 20'000 Einwohner vertrat (1848: 111 Sitze, 1850: 120 Sitze); später wurde die Zahl der Nationalräte auf 200 fixiert. Die bevölkerungs&starken Kantone haben darin ein sehr grosses Gewicht, die kleinsten Kantone stellen nur je einen Nationalrat. Im Ständerat, auch Kleine Kammer genannt, ist jeder Kanton ungeachtet seiner Grösse mit zwei Sitzen vertreten, Halbkantone (OW, NW, BS, BL, AR, AI) mit je einem Sitz. Bundesgesetze benötigen die Zustimmung beider Kammern, sodass die kleinen Kantone faktisch über eine Sperrminorität verfügen, die gelegentlich zum Tragen kommt. Die beiden Kammern der Bundesversammlung treffen sich mehrmals jährlich zu mehrwöchigen Sessionen (Parlamentssitzungen) und dazwischen zu vorbereitenden Sitzungen ihrer Kommissionen [Fachgruppen]. Berufsparlamentarier kennt die Schweiz im Gegensatz zu den meisten anderen Staaten bis heute nicht.

Die Exekutive [ausführende Behörde] heisst bei uns Bundesrat (nicht zu verwechseln mit dem Deutschen Bundesrat, der unserem Ständerat entspricht!). Der Bundesrat besteht aus sieben vollamtlichen Mitgliedern (im Ausland würde man sie als Minister bezeichnen), die je einen Bereich der Bundesverwaltung führen und wichtige Entscheide gemeinsam treffen (Kollegialitätätsprinzip). Das Amt des Bundespräsidenten wird reihum während je eines Jahres von einem der Bundesräte ausgeübt und umfasst fast ausschliesslich repräsentive Aufgaben vom Empfang ausländischer Staatsgäste bis zur Neujahrsansprache. Einen starken Ministerpräsidenten wie in den meisten europäischen Ländern oder einen starken Präsidenten wie in den USA gibt es in der Schweiz nicht. Der Bundeskanzler hat nicht wie in Deutschland die Rolle eines Ministerpräsidenten, sondern nimmt an den Bundesratssitzungen als Sekretär ohne Stimmrecht teil und tritt gelegentlich in der Funktion eines obersten Pressesprechers in Erscheinung.

Die Judikative, das Bundesgericht hatte 1848 noch eine geringere Bedeutung als heute, weil damals weder ein einheitliches Strafrecht noch ein einheitliches Zivilgesetzbuch vorlag. Es sollte zunächst vor allem Streitigkeiten zwischen den Kantonen regeln. Heute werden allfällige Probleme zwischen den Kantonen in aller Regel durch Verhandlungen gelöst, umgekehrt hat das Bundesgericht als letzte Instanz in zivil- oder strafrechtlichen Fällen, bei denen eine Partei das Urteil der kantonalen Gerichte nicht akzeptieren will, eine grosse Bedeutung. Zudem haben die Urteile des Bundesgerichtes Grundsatzcharakter: Da nicht jeder Spezialfallin in einem Gesetz bis ins letzte Detail geregelt werden kann, legen die Gerichte die Gesetze in solchen Fällen nach ihrem Ermessen aus. Kantonale Gerichte orientieren sich jeweils in späteren, ähnlichen Fällen dann an der Bundesgerichtspraxis.



Literatur und Links zur Geschichte des Schweizerischen Bundesstaates:



zurück: Mediationszeit 1803-1815 Startseite / Sitemap: Geschichte der SchweizHäufig gestellte Fragen
Kurze Zitate nur mit Quellenangabe (Link).
Reproduktion grösserer Teile in gedruckter oder elektronischer Form nur mit schriftlicher Einwilligung erlaubt.
Disclaimer Privacy policy www.geschichte-schweiz.ch © 2001-2010 Alle Rechte vorbehalten FAQ Editor