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Schweizer Geschichte

Frontenbewegung

   

Die "Fröntler" - eine Minderheit in der Schweiz

In der Schweiz, insbesondere in der Deutschschweiz, fand der deutsche Nationalsozialismus ab 1933 durchaus einige begeisterte Anhänger, die sich in "Fronten" zusammenschlossen. Wie in Deutschland erhielt die extreme Rechte Auftrieb durch die ständig wachsende Arbeitslosigkeit. Die Frontenbewegung knüpfte einerseits an die Bürgerwehren an, die sich im Sommer 1919 zur Bekämpfung der Streiks in Basel und Zürich gebildet hatten (antikommunistisch / antisozialistisch), andererseits rekrutierten sie sich aus Gebieten, die bis heute sowohl als Hochburgen rechtsbürgerlicher Parteien (SVP, EDU) gelten, als auch für einen verglichen mit anderen Regionen markant erhöhten Organisationsgrad von Freikirchen mit Hang zu christlichem Fundamentalismus bekannt sind. So wurde z.B. im Berner Oberland 1925 die Schweizer Heimatwehr gegründet, die - ganz im Stile des deutschen Nationalsozialismus - "den Juden, Freimaurern und der »internationalen Hochfinanz« den Kampf ansagte". Die Frontenbewegung sprach vor allem Leute aus dem unteren Mittelstand an. Der Einfluss der Fronten reichte weit in die bürgerlichen Parteien hinein. (Chronik der Schweiz, S. 523)


Der Frontenfrühling (1933)

Nach der Ernennung von Adolf Hitler zum deutschen Reichskanzler [Regierungschef] am 30. Januar 1933 spürten die Fronten im Frühling 1933 einen gewissen Aufschwung. Die studentische Neue Front (gegründet 1930, 75 Mitglieder) und die Nationale Front (750 Mitglieder) schlossen sich 1933 zu einem "Kampfbund" zusammen. Zahlreiche weitere Gruppen und Grüppchen wurden 1933 gebildet. Als Frontenführer profilierten sich Robert Tobler, Rolf Henne, Hans Vonwyl. Die Frontenbewegung versuchte ihre Überzeugungen durch Zeitungen wie Die Front, Der Eiserne Besen, und Schweizer Banner zu verbreiten.


Kräfteverhältnisse: Wahl- und Abstimmungsresultate

Man darf sich durch einzelne, einmalige Wahlresultate - zumeist in bekannten rechtsbürgerlichen Hochburgen - nicht zu sehr beeindrucken lassen. So erzielte die Frontenbewegung im September 1933 in Schaffhausen 26,7% bei den Ständeratswahlen (bei dieser Majorzwahl wäre zu fragen, wer die Gegenkandidaten waren!), bei den Gemeinderatswahlen in Zürich gewannen die Frontisten trotz Verbindung mit neun weiteren bürgerlichen Parteien zu einem Bürgerblock nurmehr 7,8%, bei den Grossratswahlen [Kantonsparlament] in Genf im November 1933 lediglich 9%. (Chronik der Schweiz, S. 523) Auf nationaler Ebene konnte die Frontenbewegung allerdings als organisierte Partei nie mehr als einen Sitz im eidgenössischen Parlament gewinnen. (UEK, Schlussbericht, a.a.O., S. 71)

Zwei Abstimmungsergebnisse von 1935 veranschaulichen die Kräfteverhältnisse: Die sozialdemokratische "Kriseninitiative" (Forderungen: Lohn- und Preisschutz, Arbeitsbeschaffungsmassnahmen, Arbeitslosenversicherung, Export- und Tourismusförderung, Kontrolle des Kapitalmarktes) wurde am 2. Juni mit 567'425 Nein (57%) gegen 425'242 Ja (43%) zwar klar, aber nicht wuchtig abgelehnt. Die einzelnen Forderungen wurden übrigens mit einer Ausnahme (Kontrolle des Kapitalmarktes) alle nach und nach in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg doch noch umgesetzt. Dagegen wurde die unausgegorene "Fronteninitiative" für eine Totalrevision der Bundesverfassung am 8. September mit 511'578 Nein (72%) zu 196'135 Ja (28%) haushoch verworfen. (Chronik a.a.O., S. 527)


Rechtsbürgerliche Sympathien mit Aspekten des Faschismus

Insbesondere die Bundesräte Philipp Etter (Katholisch-Konservative Partei KK = heute CVP) und Marcel Pilet-Golaz (FDP) sowie General Henri Guisan sprachen sich öffentlich wiederholt für mehr autoritäre Führung und weniger Einfluss von Parteien und Parlament aus. Guisan hatte 1934 seine Bewunderung für den italienischen Diktator Mussolini geäussert, der "alle Kräfte der Nation zu zähmen wusste." "Immerhin wuchs der General mit seiner Aufgabe und konnte schon bald eine gute Beziehung zu den Sozialdemokraten aufbauen. General Guisan war die zentrale Integrationsfigur der Kriegszeit und verkörperte dermassen den Widerstandswillen, dass Relativierungen einer späteren Zeit bei der älteren Generation auf vehemente Ablehnung stiessen." (Unabhängige Expertenkommission Schweiz - Zweiter Weltkrieg (UEK), Schlussbericht, Zürich 2002, S. 81f.)

"Anfänglich wirkte sogar Hitler auf verschiedene Kreise der Bevölkerung beruhigend, weil er in Deutschland rasch Ordnung zu schaffen schien, den Investoren neue Zuversicht gab und das NS-Regime als Bollwerk gegen den Bolschewismus präsentierte. Ab 1934, spätestens aber mit den rassistischen Nürnberger Gesetzen von 1935 trat der totalitäre Charakter des «Dritten Reiches», das Minderheiten brutal verfolgte, deutlich hervor." (UEK, Schlussbericht, a.a.O., S. 520)


Die Sozialisten erkannten die braune Gefahr zuerst

Ebenso wie in Deutschland mochten sich nur die Sozialisten offen als erbitterte Gegner der Fröntler profilieren. Ihre anfänglich mehr oder weniger ausgeprägte Bewunderung für die russische Revolution und die Schreckensherrschaft Lenins und Stalins in der Sowjetunion empfahl sie aber zunächst nicht unbedingt als Alternative zu den Frontisten.

Die politische Linke versuchte in der Stunde der Gefahr erfolgreich, ihren in breiten Bevölkerungskreisen angeschlagenen Ruf zu korrigieren. Die Sozialisten wandelten sich durch das klare Bekenntnis zur Demokratie und zur militärischen Landesverteidigung sowie durch die im Friedensabkommen in der Schweizerischen Metallindustrie 1937 glaubwürdig vollzogene Annäherung an die Arbeitgeber und an die liberalen Kräfte des Landes vom Bürgerschreck zu einer respektierten politischen Kraft, die man bei den Bundesratswahlen 1943 in die Regierungsverantwortung einband. Die Sozialdemokraten und Gewerkschafter erleichterten durch die Anpassung ihrer Haltung den liberalen Kräften schon Mitte der 1930'er-Jahre die Wahrnehmung der rechtsextremen Bedrohung.


Ständestaatliche Ideen und Faschismus

Die Einschätzung der faschistischen Fröntler durch die Bürgerlichen damals wird ebenso wie die Einschätzung der damaligen bürgerlichen Haltung aus heutiger Sicht erschwert durch die Tatsache, dass sowohl kirchlich-konservative Kreise wie auch die Faschisten sich angesichts der Weltwirtschaftskrise von 1929 unter der Bezeichnung "Ständestaat" für staatliche Eingriffe und Lenkungsmassnahmen in der Wirtschaft stark machten.

Die so genannte ständestaatliche Ordnung wollte u.a. die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer in einer gewissen Anlehnung an die mittelalterlichen Zünfte in berufsständischen Organisationen zusammen fassen, Löhne durch staatliche Zwangsschlichtung festlegen und den Unternehmen vorschreiben, was und wieviel sie zu produzieren hätten. Diese Ideen stehen in krassem Gegensatz zu der vom Freisinn vertretenen Handels- und Gewerbefreiheit und wurden - aus anderen Überlegungen - auch von den Linken vehement abgelehnt.

In den meisten Industrieländern bestand eine starke Tendenz zu staatlichen Interventionen in der Wirtschaft. Selbst die USA führten eine staatliche Zwangsschlichtung bei Lohnstreitigkeiten ein. So erliess auch der schweizerische Bundesrat 1936 einen Beschluss "über ausserordentliche Massnahmen betreffend die Kosten der Lebenshaltung" (staatliche Preiskontrolle und schiedsgerichtliche Entscheidung von Lohnstreitigkeiten; Humbel, a.a.O., S. 44)

Dieser Vormarsch faschistischer Bewegungen einerseits und ständestaatlicher Ideen andererseits im Europa der 1930'er Jahre bereitete den Boden für ein Umdenken der Linken in der Schweiz: Sozialdemokraten und Gewerkschaften rückten vom Klassenkampf ab und schlugen versöhnlichere Töne an. 1937 schlossen die Gewerkschaften und der Arbeitgeberverband der Maschinen- und Metallindustrie das so genannte "Friedensabkommen" ab: Die Gewerkschaften wurden von der Arbeitgeberseite endlich als vollwertige Verhandlungspartner anerkannt und verzichteten im Gegenzug auf Streiks. Das Friedensabkommen regelte auch ein Schiedgerichtsverfahren vor einem durch die Sozialpartner selbst bestimmten Gericht und war damit eine klare Absage an staatliche Interventionen nach faschistischem bzw. konservativem Vorbild.

Die Stimmung im Volk

"Gemäss zeitgenössischen Stimmungsberichten identifizierte «man» sich in der Schweiz zwar nie gross mit einer Kriegspartei, «man» war aber stets aus einer tiefen und auch geäusserten Abneigung sowohl gegen den Nationalsozialismus als auch - und in nicht geringerem Mass - gegen das machtvolle Deutschland probritisch und, was erstaunte, schon 1942 mehr und mehr auch prorussisch eingestellt." (UEK, Schlussbericht, S. 83) Das Schweizervolk wollte sich auf keine Experimente einlassen, misstraute jedoch den rechtsextremen "Fronten" noch weit stärker als der Arbeiterbewegung. Ein Anschluss an Hitler-Deutschland unter dem Motto "Heim ins Reich" (wie in Österreich 1938) stiess bei einer erdrückenden Mehrheit des Volkes - auch und gerade in der Deutschschweiz - auf erbitterte Ablehnung.



Audienz der Frontenführer bei Bundesrat Pilet-Golaz

Noch im September 1940 empfing Bundespräsident Marcel Pilet-Golaz, dessen Sympathien für die "Fröntler" im Volk bekannt waren, deren Anführer Ernst Hofmann und Max Leo Keller offiziell zu einem Gespräch. An der darauf folgenden Sitzung des Parlaments distanzierten sich alle grossen Parteien von Pilet-Golaz, Sozialdemokraten und Landesring verlangten gar seinen Rücktritt. (Chronik, S. 536)

Eingabe der 200 und das Verbot der Frontenbewegung

Am 19. November verbot der Bundesrat die von Keller geleitete Nationale Bewegung der Schweiz (NBS). Diese hatte am 15. November in der so genannten "Eingabe der 200" offensichtlich auf Wunsch Deutschlands "die Verschärfung der Pressekontrolle, die Ausschaltung von Redaktoren kritischer deutschsprachiger Zeitungen und die Ausmerzung von Presseorganen" verlangt. (Chronik, S. 538) Bundesrat Pilet-Golaz trat vier Jahre später zurück, nachdem die Sowjetunion die Wiederaufnahme der 1923 durch die Schweiz abgebrochenen diplomatischen Beziehungen abgelehnt hatte.



Literatur und Links zur schweizerischen Frontenbewegung vor und während dem Zweiten Weltkrieg:



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