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Schweizer Geschichte

Die Schweiz im Zweiten Weltkrieg

Der Zweite Weltkrieg entzündete sich in Asien (japanischer Überfall auf China) an den Folgen des Kolonialismus, in Europa einerseits an den unbewältigten Folgen des Ersten Weltkrieges, andererseits aber in ganz erheblichen Ausmass am ideologischen Herrschaftsanspruch des deutschen Nationalsozialismus. Dessen "Führer" Adolf Hitler griff auf eine Jahrhunderte alte Tradition des Antisemitismus in Europa zurück.


Die "Fröntler" (Nazis) - eine Minderheit in der Schweiz

In der Schweiz, insbesondere in der Deutschschweiz, fand der deutsche Nationalsozialismus ab 1933 durchaus einige wenige begeisterte Anhänger, die sich als "Fronten" bezeichneten. Wie in Deutschland erhielt die extreme Rechte Auftrieb durch die ständig wachsende Arbeitslosigkeit. Die Frontenbewegung knüpfte an die Bürgerwehren an, die sich zur Bekämpfung der Streiks in Basel und Zürich 1919 gebildet hatten und sprach vor allem Leute aus dem unteren Mittelstand an, übten aber auch einen gewissen Einfluss in die bürgerlichen Parteien hinein aus.

Insbesondere den bürgerlichen Bundesräten Philipp Etter (Katholisch Konservative KK = heutige CVP) und Marcel Pilet-Golaz (FDP) sowie General Henri Guisan wird eine gewisse Nähe zu den Frontisten nachgesagt. Sie sprachen sich öffentlich wiederholt für mehr autoritäre Führung und weniger Einfluss von Parteien und Parlament aus. Guisan hatte 1934 seine Bewunderung für den italienischen Diktator Mussolini geäussert, der "alle Kräfte der Nation zu zähmen wusste." "Immerhin wuchs der General mit seiner Aufgabe und konnte schon bald eine gute Beziehung zu den Sozialdemokraten aufbauen. General Guisan war die zentrale Integrationsfigur der Kriegszeit und verkörperte dermassen den Widerstandswillen, dass Relativierungen einer späteren Zeit bei der älteren Generation auf vehemente Ablehnung stiessen." (UEK, Schlussbericht, S. 81f.)

Ebenso wie in Deutschland mochten sich nur die Sozialisten von Anfang an offen als erbitterte Gegner des Faschismus profilieren. "Anfänglich wirkte sogar Hitler auf verschiedene Kreise der Bevölkerung beruhigend, weil er in Deutschland rasch Ordnung zu schaffen schien, den Investoren neue Zuversicht gab und das NS-Regime als Bollwerk gegen den Bolschewismus präsentierte. Ab 1934, spätestens aber mit den rassistischen Nürnberger Gesetzen von 1935 trat der totalitäre Charakter des «Dritten Reiches», das Minderheiten brutal verfolgte, deutlich hervor." (UEK, Schlussbericht, a.a.O., S. 520)

"Gemäss zeitgenössischen Stimmungsberichten identifizierte «man» sich in der Schweiz zwar nie gross mit einer Kriegspartei, «man» war aber stets aus einer tiefen und auch geäusserten Abneigung sowohl gegen den Nationalsozialismus als auch - und in nicht geringerem Mass - gegen das machtvolle Deutschland probritisch und, was erstaunte, schon 1942 mehr und mehr auch prorussisch eingestellt." (UEK, Schlussbericht, S. 83) Das Schweizervolk wollte sich auf keine Experimente einlassen, misstraute jedoch den rechtsextremen "Fronten" noch weit stärker als dem radikalen Sozialismus. Ein Anschluss an Hitler-Deutschland unter dem Motto "Heim ins Reich" (wie in Österreich 1938) stiess bei einer erdrückenden Mehrheit des Volkes - auch und gerade in der Deutschschweiz - auf erbitterte Ablehnung.

> Mehr zur Frontenbewegung und zu den Nazis in der Schweiz


"Geistige Landesverteidigung" gegen die
Bedrohung durch den Nationalsozialismus

Die Geistige Landesverteidigung betonte gegenüber dem ausgeprägten Nationalismus der Faschisten, deren erklärtes Ziel die Vereinigung aller "Volksgenossen" in Großdeutschland bzw. Italien war, die Eigenständigkeit der Schweiz und den Wert ihrer kulturellen Vielfalt.

Pressefreiheit und Cabaret gegen Nazi-Propaganda

In den 1930'er Jahren wurde die deutsche und österreichische Presse weitgehend gleichgeschaltet, so dass die Medien der Schweiz die einzige deutschsprachige Plattform für öffentliche Kritik am Nationalsozialismus blieben. Die wichtigsten und insbesondere die erfolgreichen Schweizer Zeitungen traten für eine deutliche Abgrenzung gegen das Nazi-Regime ein. Wegen der starken wirtschaftlichen Abhängigkeit vom grossen Nachbarn verfügte allerdings auch die Schweizer Regierung eine moderate Pressezensur, die vor allem Berichte zur Aussenwirtschaft betraf. (UEK, Schlussbericht, S. 80) Nebst der trotz Zensur relativ freien Presse bildeten auch die Kleinkunstszene (Cabaret Cornichon und Die Pfeffermühle) sowie das Zürcher Schauspielhaus ein Gegengewicht zur Nazi-Propaganda.

Monumente und Filme als Demonstration des Unabhängigkeitswillens

1937 wurde unter dem Eindruck der breit empfundenen nationalsozialistischen Bedrohung mit Spendengeldern die Hohle Gasse zwischen Immensee und Küssnacht SZ (wo nach der Sage Wilhelm Tell den Landvogt Gessler umgebracht haben soll) aufgekauft und restauriert, um den Freiheitswillen der Schweiz zu demonstrieren.

Die Filmwochenschau zeigte die Ereignisse der Woche im Kino. Geschichtliche Rückblicke (etwa anläslich der 650. Schlachtenfeier zu Sempach 1936) beschwörten das Bild der freiheitsliebenden unabhängigen Schweiz, die sich erfolgreich gegen den gierigen Feind von aussen wehrt. (Mehrere solcher Beiträge können im Forum der Schweizer Geschichte in Schwyz betrachtet werden, dazu gibt es auch diverse Radioansprachen zu hören.) In diesem Zusammenhang ist auch der Tonfilm "Landammann Stauffacher" von Leopold Lindtberg (Exil-Österreicher, 1933-1945 Regisseur am Zürcher Schauspielhaus) zu erwähnen. Dieses wehrhafte Bild Schweiz wurde von der Bevölkerung wahrgenommen, damit identifizierte eine Mehrheit sich auch.

Landi 1939 und Landigeist

Die Landesausstellung 1939 in Zürich ("Landi") war zunächst wie ihre Vorgängerinnen im 19. Jahrhundert als wirtschaftliche Leistungsschau geplant, stellte sich dann aber unter dem Eindruck der politischen Entwicklung in Europa (drohender Krieg) in den Dienst der geistigen Landesverteidigung. Statue "Wehrbereitschaft",
  Höhepunkt des zivilreligiösen "Höhenweges"  
  an der Landi 1939 
  heute vor dem Bundesbriefmuseum in Schwyz Die Themengruppen "Heimat und Volk", "Unsere Rohstoffe", "Verarbeitung und Verkauf", "Verteilung und Vermittlung" und "Kultur des Geistes und des Körpers" zeigen die Ausrichtung zwischen wirtschaftlicher Leistungsschau und nationaler Selbstbehauptung. Schon damals gab es (wie bei der expo.02) im Vorfeld viel böses Blut, nicht zuletzt wegen Finanzierungsfragen, doch die Sache entfaltete eine Eigendynamik und der überwältigende Publikumserfolg zeigt die breite Verankerung im Volk auf. Der zum stehenden Begriff gewordene "Landigeist" drückt aus, dass es hier um weit mehr ging, als um ein "Event" wie an der expo.02. Es ist gewiss nicht übertrieben, den Besuch der Landi 1939 mit einer Wallfahrt zu vergleichen, deren Höhepunkt der "Höhenweg" bildete. Die Männer nahmen ergriffen und ehrfüchtig ihre Hüte ab wie in einer Kirche. Vor der Statue "Wehrbereitschaft" legten die BesucherInnen Blumen und Münzen nieder und drückten damit ihre Opferbereitschaft aus. (Isabelle Meier, Mythos Landi, p. 79) Die Landi 1939 bleibt für die Zwischenkriegsgeneration bzw. "Aktivdienstgeneration" ein unvergesslicher Ausdruck der geistigen Heimat.

Innenpolitische Einigung

Innenpolitisch ebnete die äussere Bedrohung den Weg zur Verständigung zwischen den Arbeitgebern und den Gewerkschaften bzw. zwischen den Bürgerlichen und den Sozialdemokraten. So wurde 1937 mit dem Friedensabkommen zwischen dem wichtigsten Arbeitgeberverband (Maschinen- und Elektroindustrie) und der Metallarbeitergewerkschaft der Klassenkampf durch die Sozialpartnerschaft ersetzt. Hatte im ersten Weltkrieg der Militärdienst durch Verdienstausfall während Monaten bei geringem Sold noch grosse soziale Probleme verursacht, so wurde nun auf Anfang 1940 die Erwerbsersatzordnung (EO) eingeführt, die einen grossen Teil des Lohnausfalls deckte. Zudem wurden zur Finanzierung der gesteigerten Rüstungsausgaben neue Steuern eingeführt, die besonders die Gutverdienenden belasteten. Im Zeichen des inneren Zusammenhalts wurde auch in der Volksabstimmung vom 20. Februar 1938 das Rätoromanische mit einer sensationellen Mehrheit zur vierten Landessprache erklärt. Nach der Kriegswende vermochten die Sozialdemokraten ihren Wähleranteil zu steigern und wurden zur stärksten Partei. Nun konnte man sie nicht länger übergehen und musste ihnen im Dezember 1943 einen Sitz im 7-köpfigen Bundesrat (Landesregierung) zugestehen.

Mehr über die Geistige Landesverteidigung im Zweiten Weltkrieg


Der zweite Weltkrieg - Kriegsverlauf

Aufrüstungspolitik und Salamitaktik von Adolf Hitler

Im Bewusstsein von uns Mitteleuropäern dauerte der Zweite Weltkrieg von 1939 - 1945. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass der japanische Angriff auf China bereits 1931 stattfand und Italien 1935 Äthiopien eroberte. In Deutschland betrieb Adolf Hitler dagegen zunächst eine Aufrüstungspolitik und schränkte die Rechte der Juden und anderer Minderheiten schrittweise immer mehr ein. Von 1938 - 1939 versuchte Hitler, möglichst viele Gebiete mit deutschsprachiger Bevölkerung oder deutschsprachigen Minderheiten durch Verhandlung oder Drohung seinem Grossdeutschen Reich einzuverleiben.

Deutscher Angriff auf Polen, Dròle de Guerre, Zusammenbruch bei Dünkirchen

Im September 1939 besetzten deutsche und russische Truppen Polen. England und Frankreich erklärten Deutschland den Krieg, beschränkten sich jedoch auf eine Seeblockade. Bis zum deutschen Angriff auf die Norwegen und Dänemark im April 1940 sowie die Niederlande, Belgien Luxemburg und Frankreich im Mai 1940 verharrten beide Seiten in ihren Stellungen ("Drôle de Guerre" [merkwürdiger Krieg] bzw. "Sitzkrieg"). Das britische Expeditionskorps sowie Teile der polnischen und französischen Armee wurden in letzter Minute aus Dünkirchen evakuiert, andere polnische und französische Truppen retteten sich in die Schweiz und wurden dort interniert. Schon im Juni zwang der französische Marschall Pétain die Regierung zum Rücktritt und schloss mit Hitler einen Waffenstillstand ab. Die deutsche Wehrmacht hielt Nordfrankreich und die Atlantikküste besetzt, Pétain bildete in Vichy eine von Hitler abhängige Regierung für Südfrankreich. Damit war die Schweiz von allen Seiten von faschistischen Kräften umschlossen.

Luftschlacht um England, Seekrieg, Nordafrika, Balkan, Russlandfeldzug

In der Luftschlacht um England 1940 - 1941 musste Hitler die erste Niederlage einstecken. Im Seekrieg von 1939 - 1945 versuchte beide Seiten mit schweren Kriegsschiffen und U-Booten den Nachschub des Gegners zu behindern. Dabei wurde mehr Transportkapazität von Handelsschiffen versenkt, als vor dem Krieg zur Verfügung gestanden hatte. Die Schlacht um Nordafrika 1940 - 1942 gewannen schliesslich die Engländer. Im Sommer 1941 besetzten deutsche Truppen die Balkanhalbinsel und griffen Russland an. Hitler versuchte sein ursprüngliches Ziel "Lebensraum im Osten" zu verwirklichen. Die Deutschen stiessen bis kurz vor Moskau vor. Im Winter wurden sie zurückgedrängt, im Sommer 1942 eroberten sie die Erdölfelder im Kaukasus. Die Winteroffensive der Roten Armee Anfang 1943 führte zum Untergang der eingekesselten deutschen Armeen bei Stalingrad und markierte die Kriegswende.

Eintritt der USA in den 2. Weltkrieg, Invasion in der Normandie, Selbstmord Hitlers

Die USA hatten zwar Grossbritannien mit Waffen beliefert, traten aber selbst erst aktiv in den Krieg ein, nachdem Japan sie mit dem Angriff auf ihren Flottenstützpunkt Pearl Harbor (Hawaii) am 7. 12. 1941 dazu gezwungen hatte. 1943 landeten alliierte Truppen in Italien, Mussolini wurde abgesetzt und verhaftet, aber von einem deutschen Kommando befreit. Italien trat auf die Seite der Alliierten über. Mussolini wurde 1945 von italienischen Partisanen [Widerstandskämpfern] erschossen, als er versuchte, in die Schweiz zu flüchten. Nach der alliierten Invasion in der Normandie am 6. Juni 1944 befahl Hitler den totalen Widerstand, entzog sich dann aber zuletzt durch feigen Selbstmord (30. 4. 1945) der Verantwortung. Am 8. Mai 1945 kapitulierte Deutschland.

Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki und Kriegsende

Die Schweiz übermittelte nach den amerikanischen Atombombenabwürfen auf Hiroshima (6. 8. 1945) und Nagasaki (9. 8. 1945) das japanische Kapitulationsangebot an die Allierten. Am 15. 8. 1945 war der zweite Weltkrieg beendet. Während des Krieges hatte die neutrale Schweiz die Interessen von 35 Staaten vertreten, die miteinander im Krieg standen und die ordentlichen diplomatischen Beziehungen abgebrochen hatten, u.a. Deutschland gegenüber Grossbritannien und umgekehrt.

Bombardierung von Schaffhausen und anderen Schweizer Städten

Die Schweiz blieb von kriegerischen Handlungen weit gehend verschont. Allerdings wurden in der Schweiz 7379 Fliegeralarme ausgelöst, 70 mal wurden Bomben abgeworfen (84 Personen wurden getötet, 260 verletzt, davon allein 40 Tote bei der Bombardierung der Stadt Schaffhausen am 1. 4. 1944 mit 371 Brand- und Sprengbomben, der 65 Grossbrände auslöste). 105 Militärflugzeuge (in der Mehrzahl von der deutschen Luftabwehr getroffene alliierte Maschinen) landeten in der Schweiz und wurden bis zum Kriegsende interniert.

Zeittafel und Frontverlauf im Zweiten Weltkrieg


Glaubwürdige Informationen im Propagandasumpf

wurden von der halbstaatlichen British Broadcasting Corporation (BBC) und vom 1931 erbauten und 1937 verstärkten Schweizerischen Schweizerischer Landessender Beromünster (LU), Baujahr 1931/1937 Landessender Beromünster verbreitet ("Weltchronik" des "Freitagsprofessors" Jean Rodolphe von Salis im offiziellen Auftrag des Bundesrates). Dank der Ausbauten auf den damals neusten Stand der Technik konnte Radio Beromünster abends an sich in ganz Europa bis nach Norwegen empfangen werden. Der nationalsozialistische deutsche "Führer" Adolf Hitler liess allerdings billige Radios bauen, auf denen - ausser in Grenznähe - ausländische Sender nur schwer zu empfangen waren und verbot zudem deren Empfang. Wer in Deutschland bzw. im deutsch besetzten Gebiet beim Empfang fremder Sender erwischt wurde, musste mit Verhaftung durch die Gestapo [Geheime Staatspolizei] und Deportation [Verschleppung] ins Konzentrationslager rechnen. Im Verborgenen (Keller!) war die englische British Broadcasting Corporation BBC praktisch eher in Norddeutschland, der Schweizerische Landessender Beromünster dagegen eher in Süddeutschland zu hören. Zur Glaubwürdigkeit des englischen wie des schweizerischen Senders trug bei, dass sie die Erfolge der deutschen Wehrmacht und die Probleme der Alliierten in den ersten Kriegsjahren nicht verschwiegen und sich damit deutlich von der reinen Propaganda des deutschen Radios abhoben.

Beide Sender halten seither an der professionellen, unabhängigen Berichterstattung fest, wie man jüngst anlässlich des Irak-Krieges (2003) besonders im Vergleich zu US-amerikanischen Stationen wieder feststellen konnte. Heute sind sie unter www.bbcnews.com bzw. www.swissinfo.org im Internet weltweit präsent. Die Tradition der Weltchronik wird in veränderter Form durch das tägliche internationale Nachrichtenmagazin Echo der Zeit fortgeführt (abends um 18.00 Uhr und 19.00 Uhr am Radio, ab 20.00 Uhr in zusammengefasster Textform und als Real Audio im Internet).



Wirtschaftliche Abhängigkeit der Schweiz

"Die Schweiz war ungewöhnlich stark vom Export abhängig. Etwa ein Drittel der Bevölkerung hatte ihre Existenzgrundlage im Export der Metall-, Maschinen-, Elektro- und Uhrenindustrie. Die chemisch-pharmazeutische Industrie, die sich in der Wirtschaftskrise der dreissiger Jahre als Konjukturstütze erwiesen hatte, setzte über 90% der Produktion auf ausländischen Märkten ab." (UEK, Schlussbericht, S. 56) Dazu kam die Bedeutung der Finanzdienstleistungen (Banken, Versicherungen), Tochterunternehmen von Industriefirmen und des Tourismus: Bei Ein- und Ausfuhren von jährlich rund 2 Milliarden Fr. in den 1920'er Jahren bzw. noch rund 1 Milliarde Fr. in den 1930'er Krisenjahren betrug das Defizit der Handelsbilanz durchschnittlich rund 300 Millionen Fr., trotzdem nahmen die Währungsreserven der Nationalbank jährlich um rund 400 Mio. Fr. zu! Die Differenz von 700 Mio. Fr. wurde also durch den Dienstleistungssektor und die Tochterunternehmen erwirtschaftet. (UEK, Schlussbericht, S. 58) Während des Krieges fiel der Tourismus im Wesentlichen aus. Die meisten Länder ausser der Schweiz hatten zudem Devisengesetze erlassen, die es verboten, grössere Geldbeträge ins Ausland zu verschieben. So durften Tochterfirmen ihre Gewinne nicht ans Mutterhaus in der Schweiz überweisen. Es blieb ihnen also nichts anderes übrig, als die Gewinne wieder zu investieren, d.h. die Tochterfirma im betreffenden Land zu vergrössern, neue Maschinen zu kaufen usw.



Rationierung und "Anbauschlacht"

Durch den Krieg bedingt wurden die Lebensmittel knapp, die Behörden strebten mit der Rationierung eine gerechte Verteilung unter der Bevölkerung angestrebt: jede Person durfte nur eine bestimmte Menge Nahrungsmittel und Güter des täglichen Gebrauchs pro Monat kaufen, dazu wurden monatlich Rationierungsmarken abgegeben. Allerdings waren einzelne Regelungen fragwürdig - ein komplettes Mittagessen im Restaurant wurde z.B. gegen zwei Brotmarken, ein Kilo Brot gegen deren zehn abgegeben. Schlimmer noch war die mangelnde Disziplin der Bauernschaft, Lebensmitteln ab Hof wurden oft direkt an Verwandte und gute Bekannte unter Umgehung der Rationierung abgegeben. (Quelle: mündliche Ueberlieferung). Nicht alle, aber sehr viele Artikel des täglichen Gebrauchs waren rationiert:

Die Brotration betrug vom Oktober 1942 - Februar 1944 nur 225 g / Tag, ab 1. März 1944 250 g / Tag, allerdings unter Beimischung von Kartoffelmehl. (Chronik, S. 546). Brot durfte zunächst erst 24 Stunden nach dem Backen verkauft werden, später sogar erst nach 48 Stunden - dadurch sollte der Appetit auf natürliche Weise gedrosselt werden. Das Kartoffelbrot war danach nicht mehr allzu lange haltbar. Es galt das Motto: "Altes Brot ist nicht hart - kein Brot ist hart".

Holzvergaser und andere Behelfe

Nicht mehr erhältlich waren u.a. auch viele Produkte aus Gummi. Fahrradreifen wurden z.B. aus Kork hergestellt. Auf Traktoren kamen Holzvergaser zum Einsatz: in einer Art Ofen wurde Holz verbrannt, die dabei entstehenden Gase dienten als Treibstoffersatz für den Dieselmotor. (Quelle: mündliche Überlieferung). Die Rationierung konnte erst am 1. Juli 1948, also mehr als drei Jahre nach Kriegsende aufgehoben werden.

Schon im April 1939 fasste die Bundesversammlung [gemeinsame Sitzung des Nationalrats und des Ständerats] einen dringlichen Bundesbeschluss zur Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion. Friedrich Traugott Wahlen plante als Chefbeamter im Eidgenössischen Kriegsernährungsamt die "Anbauschlacht". (Chronik, S. 538) Jede irgendwie nutzbare Grünfläche wurde nach dem "Plan Wahlen" mit Brotgetreide, Gemüse oder Kartoffeln bepflanzt, die Anbaufläche wurde bis zum Kriegsende nahezu verdreifacht, der Selbstversorgungsgrad stieg von 52 % bei Kriegsausbruch auf 59 %, unter Berücksichtigung der knapperen Rationen gar auf 80 %. (Bergier, S. 86)



Warum wurde die Schweiz von Hitler nicht angegriffen?

Wie schon im ersten Weltkrieg wurde die Schweiz militärisch nicht eigentlich angegegriffen. Gelegentliche, angesichts der Dimensionen des Weltkriegs unbedeutende Zwischenfälle gingen häufiger von britischen und amerikanischen Bombern als von den als ernsthafte Bedrohung empfundenen Achsenmächten Deutschland und Italien aus. Anders als z.B. für Schweden hatte Hitler durchaus Pläne, den deutschsprachigen Teil der Schweiz (70 % der Bevölkerung) Grossdeutschland einzuverleiben und die französisch- bzw. italienischsprachigen Gebiete in die entsprechenden Nachbarländer zu integrieren. (vgl. UEK, Schlussbericht, S. 87) Die Angriffspläne lagen in den Schubladen der deutschen Wehrmacht bereit. (vgl. UEK, Schlussbericht, S. 84) Insofern war die deutsche Rundfunkpropaganda "Die Schweiz, das kleine Stachelschwein, nehmen wir auf dem Rückweg ein!" (zitiert nach mündlicher Überlieferung) durchaus ernst zu nehmen. Trotzdem kam es nicht zum Angriff. Weshalb?

Insgesamt ruhte also die Verteidigung der Schweiz lediglich auf den zwei Säulen "Armee" und "Alpentransit", die beide recht wackelig waren. Umso wichtiger war es, sie geschickt kombiniert so gezielt wie möglich einzusetzen. Nachdem die General Henri Guisan mit dem Reduit-Konzept indirekt selbst eingestanden hatte, dass die Schweizer Armee nicht in der Lage gewesen wäre, den grössten Teil des Territoriums gegen einen allfälligen deutschen Angriff zu verteidigen, muss man wohl die alpenquerenden Transporte als den zentralen Trumpf der Schweiz gegenüber Nazi-Deutschland einschätzen. Trümpfe stechen allerdings bekanntlich nur, wenn sie auch ausgespielt werden. Eine nur theoretisch bzw. eingeschränkt nutzbare Alpenbahn wäre für Nazi-Deutschland ebenso wertlos gewesen wie eine zerstörte, und hätte somit Hitler nicht von einem Angriff auf die Schweiz abhalten können. Insofern kann ich den Vorwurf der Bergier-Kommission, die Schweiz habe die Warentransporte zu lange geduldet, (UEK, Schlussbericht, S. 547) nicht ganz nachvollziehen.

Insbesondere den Flüchtlingen hätte es gar nichts gebracht, wenn Hitler sich zu einem Angriff auf die Schweiz entschlossen hätte: Es wäre nichts anderes als eine grössenwahnsinnige (Selbst)überschätzung zu glauben, die kleine Schweiz hätte Hitlerdeutschland mit rein militärischen Mitteln alleine trotzen können. Ein solcher Versuch hätte zwangsläufig scheitern müssen und damit für praktisch alle Schweizer jüdischer Herkunft und die aufgenommenen Flüchtlinge die Deportation [zwangsweise Verschleppung] in die Vernichtungslager der Nazis bedeutet.

Wie weit Hitler dabei entgegen zu kommen war, ist selbst heute (im ungefährdeten akademischen Elfenbeinturm) schwierig zu beurteilen. Unter akuter Bedrohung war es wohl klüger, eher ein bisschen zu viel als zu wenig nachzugeben. In der schwächeren Verhandlungsposition blieb der Schweiz also keine andere Wahl, als die oft kritisierten Transporte zwischen Deutschland und Italien ohne Kontrolle zuzulassen.



Kritische Fragen zur Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg

Sich der Vergangenheit stellen

Während und unmittelbar nach dem Krieg wurde das Verhalten der Schweiz von den Alliierten [gegen Deutschland verbündeten Staaten] argwöhnisch betrachtet und z.T. auch heftig kritisiert. Im Washingtoner Abkommen vom 26. Mai 1946 einigte sich die Schweiz mit den Allierten über die finanziellen Aspekte, insbesondere schien die Auseinandersetzung um das "Raubgold" durch eine Zahlung der Schweiz in der Höhe von 250 Millionen Franken beendet zu sein. Chronik, a.a.O., S. 549) In der nachfolgenden Zeit des so genannten "Kalten Krieges" wurden andere Schwerpunkte gesetzt. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts kamen aber die verdrängten Fragen wieder an die Oberfläche. Das schweizerische Parlament beschloss im Dezember 1996, eine unabhängige Expertenkommission einzusetzen, um diese Fragen gründlich abzuklären.

Diese Kommission unter der Leitung von Prof. Jean-François Bergier sah ihre Aufgabe und die Frage nach der Verantwortung wie folgt:
"Der Historiker ist kein Richter. Eine Historikerkommission ist kein Gericht. Es kann also nicht darum gehen, Individuen, Gruppen oder ganze Länder für ihre Handlungen vor, während und nach der Kriegszeit anzuklagen oder freizusprechen. Die Verantwortung hingegen gilt es zu thematisieren." UEK, Schlussbericht, S. 547) "Sich der Vergangenheit zu stellen, ist eine Voraussetzung für die Zukunft, welche die internationale Gemeinschaft gemeinsam interessieren muss." UEK, Schlussbericht, S. 550)

In diesem Sinn möchte ich im Folgenden versuchen, die im Rückblick als geschichtswirksam erkennbaren Haltungen und Handlungen ebenso wie bereits erfolgte Lernprozesse aufzuzeigen:

Wie man sieht, hat die internationale Staatengemeinschaft vor und z.T. auch noch während dem Krieg ihre Verantwortung nur ungenügend wahrgenommen. Hingegen wurde nach dem Krieg viel gelernt und auch umgesetzt. Deshalb ist es sinnvoll, die Rolle der Schweiz hier noch etwas genauer zu beleuchten und zu hinterfragen. Ich folge dabei der Auflistung der Problempunkte im Schlussbericht der Bergier - Kommission ( S. 547):

"All dies verstiess nicht nur oft genug gegen das formelle Recht, sondern auch gegen den ordre public, auf den man sich so häufig bezog. Das Verantwortungsgefühl, das damals fehlte, wurde während der zurückliegenden fünfzig Jahre wiederholt angerufen - und es fehlte wiederum. Die heutige Schweiz muss sich dieser Vergangenheit stellen." (UEK, Schlussbericht, a.a.O., S. 547)

Zumindest im Punkt der unkontrollierten Warentransporte durch die Alpen muss allerdings ein deutliches Fragezeichen gesetzt werden. Es geht - entgegen der Aussage der Kommission eben sehr wohl auch "um die Konfrontation zwischen einer «realistischen» und einer «idealistischen» Sicht". (vgl. UEK, Schlussbericht, a.a.O., S. 547) Ich möchte hier keinesfalls begangenes Unrecht schönreden. Es muss aber erlaubt sein, die Chancen und Risiken der schweizerischen Politik aufgrund der damals verfügbaren Informationen nüchtern einzuschätzen. Dabei muss man m.E. zwingend im Auge behalten, dass bei einer idealistischen Fixierung auf "die Anerkennung staatlicher moralischer Standards, die auch und gerade in bedrohlichen und krisenhaften Phasen nicht aufgegeben werden dürfen" nur allzu leicht fatale [tödliche] Fehleinschätzungen zu Lasten jener passieren, die man eigentlich hätte schützen wollen. (Vgl. dazu meine Einschätzung oben zur zentralen Rolle der Warentransporte als "Trumpf" in der Abwehrstrategie gegen einen deutschen Angriff: Hätte die Schweiz ihren Trumpf "Warentransporte" nicht ausgespielt (sprich: diese zugelassen), so hätte Hitler die Schweiz wohl angegriffen und innert weniger Wochen überrannt. Dies hätte aber zweifellos zur Deportation der schweizerischen Juden und der Flüchtlinge in die Vernichtungslager hätte geführt.)



Schweizerische Flüchtlingspolitik im 2. Weltkrieg

Der historische Zusammenhang

Nach der Machtergreifung der Nazis in Deutschland flohen bis zum Herbst 1933 rund 2000 Flüchtlinge (vorwiegend Juden und Intellektuelle) aus Deutschland in die Schweiz, Ende 1938 waren es bereits 10'000. Bis zum Waffenstillstand am 8. Mai 1945 stieg die Zahl der Flüchtlinge auf 115'000, wovon rund 50'000-60'000 internierte Soldaten, die von den feindlichen Truppen an die Grenze abgedrängt worden waren (anfänglich polnische und französische, gegen Kriegsende deutsche und österreichische). Insgesamt beherbergte die Schweiz 295'381 Flüchtlinge (wovon 103'689 Internierte, 55'018 erwachsene Zivilflüchtlinge, 59'785 Kinder in befristeten Erholungsaufenthalten und 66'549 so genannte Grenzflüchtlinge, die sich nur kurz in der Schweiz aufhielten). (Chronik, S. 544, vgl. übereinstimmend UEK, Schlussbericht, S. 118f)

An einer internationalen Flüchtlingskonferenz in Evian (auf der französischen Seite des Genfersees) stand 1938 gemäss Schlussbericht der UEK "nicht das Schicksal der Verfolgten, sondern die Gefährdung der potentiellen Aufnahmeländer durch die Massenvertreibung im Vordergrund" (Bergier, S. 54), nach "Chronik der Schweiz" (S. 532) verlief sie ohne konkretes Ergebnis. "Statt dessen schränkten zahlreiche Staaten die Zulassung [von Flüchtlingen] weiter ein." (Bergier, S. 110) Rückblickend kann man festhalten, dass damals die internationale Staatengemeinschaft und insbesondere die USA es verpasst haben, sich ernsthaft für die Flüchtlinge einzusetzen und z.B. als Zweitaufnahmeländer die Schweiz zu entlasten - ganz abgesehen davon, dass nur ein aussereuropäisches Land (USA!) wirksamen Schutz vor dem Zugriff des skrupellos gewalttätigen Nazi-Regimes hätte bieten können. Die Schweiz war - gemessen an der Zahl der aufgenommenen Flüchtlinge pro Einwohner - durchaus in der Spitzengruppe anzutreffen, nur genügte das angesichts der ungeheuerlichen Barbarei des Nazi-Regimes eben nicht.


Der so genannte "Judenstempel"

Seit 1937 verschärften die Nazis ihre antijüdischen Schikanen deutlich, nach dem Anschluss ans Deutsche Reich im März 1938 flohen über 100'000 Juden aus Österreich, rund 6'000 davon in die Schweiz. Im April 1938 verlangte die Schweiz von Deutschland Massnahmen, um die Flüchtlingsströme besser kontrollieren zu können. Durch eine Verordnung des deutschen Nazi-Regimes wurden am 5. Oktober 1938 die Reisepässe deutscher (und österreichischer) Juden für ungültig erklärt, eingezogen und mit einem roten "J"-Stempel (sogenannter Judenstempel) gekennzeichnet.


Unmenschliche Zurückweisungen an der Grenze

Trotz z.T. brutaler Durchsetzung der Abwehrmassnahmen gelangten mehrere Tausend österreichische Juden in die Schweiz. Ab Frühjahr 1942 wurden Juden zu Tausenden nach Osten deportiert, ab Mai begann die Massenvernichtung in Auschwitz. Am 16. Juli wurden über 13'000 französische Juden in Paris verhaftet und deportiert. Ende Juli erstattete Robert Jezler, Stellvertreter des Fremdenpolizeichefs Rothmund dem Bundesrat Bericht:

«Die übereinstimmenden und zuverlässigen Berichte über die Art und Weise, wie die Deportationen durchgeführt werden, und über die Zustände in den Judenbezirken im Osten sind derart grässlich, dass man die verzweifelten Versuche der Flüchtlinge, solchem Schicksal zu entrinnen, verstehen muss und eine Rückweisung kaum mehr verantworten kann.» Dennoch betonte er, man dürfe in der heutigen Kriegszeit, in der auch die Schweiz in gewissem Sinn um ihre Existenz kämpfen müsse, «nicht zimperlich» sein, und empfahl, bei der Aufnahme von Flüchtlingen in Zukunft «grosse Zurückhaltung» zu üben. (UEK, Schlussbericht, S. 115, übereinstimmend, aber gekürzt Chronik, a.a.O., S. 540)
Am 13. August 1942 erliess Rothmund in Abwesenheit von Bundesrat Eduard von Steiger (BGB = heute SVP) eine totale Grenzsperre für Flüchtlinge. Die Massnahme wurde in der Öffentlichkeit sofort heftig kritisiert. Nach einem persönlichen Appell der "Flüchtlingsmutter" Gertrud Kurz (Leiterin des Christlichen Friedensdienstes) ordnete von Steiger am 24. August aus den Ferien die Lockerung der Sperre an (Chronik, a.a.O., S. 540)

Am 30. August fand in Zürich-Oerlikon eine von mehreren Tausend Menschen besuchte Landsgemeinde der "Jungen Kirche" [Jugendorganisation der reformierten Landeskirche] statt, auf der Bundesrat von Steiger u.a. von Max Wolff, dem Präsidenten der zürcherischen Kirchensynode, scharf kritisiert wurde. Am 22./23. September wurde die Asylpolitik des Bundesrates im Parlament zwar von einzelnen Volksvertretern (Liberale und v.a. Sozialdemokraten) heftig kritisiert, die bürgerliche Mehrheit billigte sie jedoch. (UEK, Schlussbericht, S. 138) Darauf verschärfte die Regierung die Aufnahmepraxis wieder. (Chronik, a.a.O., S. 541)

Die Kirchen verhielten sich uneinheitlich. Die meisten offiziellen Repräsentanten billigten die Politik der Regierung stillschweigend oder sogar ausdrücklich. Kritik kam von engagierten Einzelpersonen, die insgesamt eher am Rande der Volkskirchen standen und für ihre mutige Haltung auch innerkirchlich kritisiert wurden. (UEK, Schlussbericht, S. 141ff) Die Einstellung der Bevölkerung "lässt sich heute kaum mehr zuverlässig einschätzen. Allerdings sprechen die jahrelange finanzielle Unterstützung der Hilfswerke, die Fluchthilfe an der Grenze sowie die Bereitschaft, sich in Hilfaktionen wie der Beherbergung von Kindern oder der von Pfarrer Paul Vogt initiierten Freiplatzaktion zu engagieren, doch sehr dafür, dass in einem Teil der Bevölkerung eine ganz beachtliche Hilfsbereitschaft bestand." (UEK, Schlussbericht, S. 149)

Erst am 12. Juli 1944 - fast vier Monate nach der deutschen Besetzung von Ungarn und nachdem 476'000 Juden aus Ungarn ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert worden waren - erliess das EJPD neue Weisungen über die Aufnahme von Flüchtlingen. Juden wurden darin von den Behörden erstmals als allgemein gefährdet eingestuft und - unabhängig von speziellen persönlichen Asylgründen - als Flüchtlinge anerkannt. Damit reagierte man auf einen Bericht aus der Botschaft in Budapest, dass alle Juden in Ungarn vom Tod bedroht seien. (Roth Heinrich und Weiss Josef, Zweiter Weltkrieg, 2. Teil , S. 29)


Das Urteil der Historiker

1970 urteilte Prof. Edgar Bonjour: «Die ganze damalige Generation hat versagt und ist mitschuldig. Denn in einer direkten Demokratie wie der schweizerischen wäre das Volk, wenn es sich richtig aufgerafft hätte, durchaus nicht gezwungen gewesen, den ihm unleidigen Kurs der Regierung während zehn Jahren passiv zu ertragen. ... Der in jedem Bürger steckende Egoist und latente Antisemit liess ihn die Augen vor der Unmenschlichkeit gewisser Aspekte der behördlichen Asylpolitik verschliessen.» (Bonjour Edgar, Neutralität, Bd. VI, 1970, S. 41, zitiert nach UEK, Schlussbericht, S. 131)

Dagegen wandte die Bergier - Kommission ein: "Beide Erklärungsversuche - hier die isolierte Verantwortung des EJPD, dort die kollektive Verantwortung der Schweizer Bevölkerung - greifen zu kurz. Die Feststellung von Verantwortung muss das Gefälle von Entscheidungskompetenz, Informationsstand sowie sozialer und politischer Macht, das die verschiedenen Akteure unterschied, berücksichtigen." (UEK, Schlussbericht, S. 131f)

Zu beachten ist, dass die meisten Staaten auf dem europäischen Festland von deutschen oder mit ihnen verbündeten Truppen besetzt waren und aus all diesen Ländern insgesamt rund 6 Millionen Juden in die Vernichtungslager der Nazis verschleppt wurden. Bei einer eigenen Bevölkerung von 4 Millionen hätte die isolierte Schweiz zwar niemals alle von den Nazis verfolgten Personen aufnehmen können, wohl aber die rund 20'000 - 25'000 Flüchtlinge, die bis zur Schweizer Grenze gelangten und dort in den praktisch sicheren Tod zurückgeschickt wurden. (UEK, Schlussbericht, S. 120) Diese hätten die Zahl der Flüchtlinge nur um rund 10%, die der Gesamtbevölkerung um lediglich 0,6% erhöht!


Das Versagen der Flüchtlingspolitik der USA und Kanadas

Bis 1940 wäre eine Weiterreise der zivilen Flüchtlinge auf dem Land- und Seeweg in die USA oder nach Kanada noch problemlos möglich gewesen, nachher hätte man sie allenfalls über eine Luftbrücke in Sicherheit bringen können. Bisher konnte ich allerdings in keiner Quelle von einem entsprechenden Angebot der USA etwas lesen, ganz im Gegenteil: Auch die USA verschärften ihre Flüchtlingspolitik laufend und nahmen insgesamt von 1933 bis 1945 nur etwa 250 000 jüdische Flüchtlinge auf. (UEK, Schlussbericht, S. 171) Angesichts der Grösse des Landes, der Tradition als Einwanderungs- und Nahrungmittelexportland und der fehlenden militärischen Bedrohung des Kernlandes kann diese Quote von 1 Promille der heutigen Bevölkerung im Vergleich mit den von der Schweiz aufgenommenen 55'000 erwachsenen Zivilflüchtlingen (8 Promille der heutigen Bevölkerung, dazu kamen nochmals doppelt so viele internierte Soldaten) nur als schäbig bezeichnet werden. Sogar Stuart Eizenstat, Ex-Unterstaatssekretär der USA, kritisiert in seinem aktuellen Buch "Imperfect Justice" "Amerika, das während des Zweiten Weltkrieges «weniger Flüchtlinge ins Land gelassen habe als die winzige Schweiz»." (Nach der Buchrezension der "Neuen Luzerner Zeitung", Ausgabe vom 20. 12. 2002, S. 5)

Mehr zur schweizerischen Flüchtlingspolitik im Zweiten Weltkrieg


Die schweizerische Neutralität

Die Schweiz hatte sich 1920 bestätigen lassen, dass ihre seit dem Wiener Kongress von 1815 geltende Neutralität von der Staatengemeinschaft anerkannt bleibe, trotz der Mitgliedschaft im Völkerbund und der Bereitschaft, sich an wirtschaftlichen Sanktionen [Strafmassnahmen] gegen vertragsbrüchige Staaten zu beteiligen. 1938 entband der Völkerbundsrat die Schweiz von der Verpflichtung zur Teilnahme an Sanktionen wieder. (UEK, Schlussbericht, S. 68)

"Neutralität beinhaltet gemäss der V. und XIII. Haager Konvention betreffend die Rechte und Pflichten der Neutralen im Land- und Seekrieg von 1907 einige zentrale Eventualfälle wie die Internierung fremder Truppen, das Verbot von deren Durchmarsch oder das Verbot staatlicher Lieferungen von Kriegsmaterial an die Kriegsführenden. Wichtige Bereiche blieben aber ausgeklammert, insbesondere der ganze private Aussenhandel, auch der private Handel mit Kriegsmaterial." (UEK, Schlussbericht, S. 68) An diese Regeln hielt sich die Schweiz sehr wohl, ganz im Gegensatz zu den kriegsführenden Staaten (weder Deutschland noch die Alliierten respektierten den schweizerischen Luftraum). Alliierte Vorwürfe gegen die Neutralitätspolitik der Schweiz entbehren somit schlicht der völkerrechtlichen Grundlage.

Die Rolle des IKRK im 2. Weltkrieg

"Das Internationale Komittee vom Roten Kreuz (IKRK) wird, obwohl es keinen Regierungsstatus hat, sondern eine völkerrechtliche Funktion im Dienst der internationalen Staatenwelt übernimmt, gerne als Aktivposten der schweizerischen Stellung in der Welt gesehen. Die Leistungen des IKRK gerade auch nach dem Krieg (Betreuung von Kriegsgefangenen, Infozentrale für Angehörige) müssen auch anerkannt werden. Überlegungen der Staatsräson veranlassten das IKRK allerdings zu einer passiven Haltung angesichts der deutschen Verfolgungs- und Vernichtungspolitik der Kriegsjahre. Nachräglich, 1989, erkannte das IKRK an, dass es moralisch verpflichtet gewesen wäre, sich um die Juden in Deutschlands Machtbereich und überhaupt um die Bewohner der annektierten Gebiete zu kümmern; zugleich wies es aber darauf hin, dass der Schutz der Zivilbevölkerung erst mit dem IV. Genfer Abkommen von 1949 völkerrechtlich vereinbart worden sei." (UEK, Schlussbericht, S. 69)

Auch hier hinkte offensichtlich das Völkerrecht hinter der Realität hinterher. Zu beachten ist auch, dass die Bombardierungen von Städten durch die deutsche ebenso wie durch die britische und amerikanische Luftwaffe mit in mehreren Fällen hunderttausenden von zivilen Toten bei einem einzigen Einsatz und die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki nach heutiger Auffassung ebenfalls als höchst illegitime [nicht gerechtfertigte] Mittel des Krieges zu gelten haben. Heute weht dem IKRK oft ein steifer Wind entgegen, wenn es weltweit die Einhaltung der Menschenrechte und des Völkerrechts anmahnt und dabei die USA (Haftbedingungen von El Kaida - Kämpfern) und Israel (Verletzung der Genfer Konventionen in den besetzten Gebieten) ebenso wenig auslässt wie Russland (Tschetschenien) oder China (Tibet).

Die "Guten Dienste" [diplomatische Vertretungen]

Die "isolierende Wirkung der neutralen Sonderstellung" fand in den Guten Diensten einen gewissen Ausgleich: Die Schweiz vertrat die Interessen von 35 Staaten, die miteinander im Krieg standen und die ordentlichen diplomatischen Beziehungen abgebrochen hatten. "Zeitweilig waren über 1200 Personen mit diesen Aufgaben betraut. Eine wichtige Schutzmachttätigkeit bestand darin, Kriegsgefangenenlager zu besuchen und den Gefangenenaustausch zu organisieren, was die Alliierten, namentlich die Briten, sehr schätzten." (UEK, Schlussbericht, S. 69)

Neutralitätsverletzung durch die kriegsführenden Mächte:

Luftraumverletzungen und Bombenabwürfe

"Im August 1944 erreichten die Befreier Europas die Westgrenze der Schweiz; die Umklammerung durch die Achsenmächte war damit aufgebrochen, die Versorgungslage verbesserte sich jedoch nicht - ganz im Gegenteil. In diesen Monaten wurde die Schweiz durch den Luftkrieg am stärksten in Mitleidenschaft gezogen; Grenzverletzungen durch Verbände der Allierten waren zu befürchten." Diese Aussage der Bergier-Kommission (Schlussbericht, S. 95) zeigt einerseits, dass die Schweiz auch nach 1944 auf sich allein gestellt war, andererseits geht sie sehr rasch über die alliierten Luftangriffe auf die Schweiz hinweg und wirkt damit verharmlosend: Die Verletzungen des Luftraumes durch britische und amerikanische Bomber waren an der Tagesordnung, zudem kam es zu 70 alliierten Bombenabwürfen auf die Schweiz. (Chronik, a.a.O., S. 543)

Die Reaktion der Schweizer Luftwaffe

Angesichts der Tatsache, dass in den ersten Kriegsjahren die Schweizer Armee öfters deutsche Kampfflugzeuge über der Schweiz beschoss und damit ihren Pflichten aus der "bewaffneten Neutralität" nachkam, (Chronik, a.a.O., S. 538), dagegen alliierte Flugzeuge mit ihrer Bombenfracht unbehelligt nach Deutschland passieren liess, hätte Deutschland mehr Grund gehabt, eine einseitige Verletzung der Neutralitätspflicht zu beklagen als die Alliierten! Zwar wurden insgesamt "105 Flugzeuge zur Landung gezwungen" (Chronik, a.a.O., S. 543), wie man diversen Berichten im Internet (u.a. NZZ online vom 30.9.2002) entnimmt, dürfte es sich bei den alliierten Landungen allerdings in Wirklichkeit um "freundlich begleitete Notlandungen" von bereits durch deutschen Beschuss beschädigten Maschinen gehandelt haben. So landeten am 12. März 1944 nach Luftangriffen auf die süddeutschen Städte München, Augsburg und Friedrichshafen 12 schwer beschädigte (von insgesamt 80) Flugzeugen in Dübendorf (Chronik, a.a.O., S. 544). In einem weiteren gut dokumentierten Fall musste die Besatzung nach eigenem Bericht wegen mangelnder Geografiekenntnisse und fehlender Karten froh sein, sicher zum Militärflugplatz Dübendorf geleitet zu werden.



Aussenhandel und Raubgold

Die Alliierten warnten die Schweiz schon während des Krieges davor, über das zum eigenen Überleben notwendige Mass hinaus mit Hitler zusammen zu arbeiten. Was notwendig war, darüber streiten sich die Gelehrten. Interessant sind allerdings folgende Aussagen zur Lage der Schweiz:

"Von Juni 1940 bis Herbst 1944 war das neutrale Land umgeben von den Achsenmächten und Vichy-Frankreich, von denen es einerseits industrielle Rohstoffe und Lebensmittel bezog, andererseits nach diesen Ländern exportierte und so doppelt abhängig war. Als hochentwickeltes Industrieland hatte die Schweiz also keine andere Wahl, als den wirtschaftlichen Austausch mit diesen Mächten fortzusetzen. Nach 1943 wurden auch die Importe und Exporte in Richtung der alliierten Staaten wieder vermehrt ausgebaut. Die sich hier stellende Frage lautet nicht, ob die Schweiz überhaupt ihre Geschäftsbeziehungen und den Aussenhandel mit den kriegführenden Mächten aufrechterhalten sollte oder konnte, sondern wie weit diese Aktivitäten gingen, wo also die Grenze zwischen unvermeidbaren Konzessionen und vorsätzlicher Kollaboration lag." (UEK, Schlussbericht, S. 521)

Wie tief die Schweiz hier mit Hitlerdeutschland kollaborierte [mit dem Feind zusammenarbeitete] war wohl infolge der Pressezensur, die sich in der Schweiz genau auf den Aussenhandel konzentrierte (UEK, Schlussbericht, S. 80, vgl. oben) den wenigsten Schweizern bewusst - ebensowenig, wie unvollständig die Rückgabe unrechtmässig entgegengenommener Vermögenswerte und so genannt nachrichtenloser Konten nach dem Krieg ausfiel.

> Mehr zum Raubgold und zur schweizerischen Aussenhandelspolitik im 2. Weltkrieg


Hat die Schweiz den Krieg verlängert ?

"Der an die Schweiz gerichtete Vorwurf, sie habe zur Verlängerung des Kriegs und der daraus erwachsenden Leiden beigetragen, war hoch emotional. Er wurde bereits während des Kriegs erhoben ... Die These, wonach die von der Schweiz erbrachten Dienstleistungen, Exporte und Kredite den Kriegsverlauf auf bedeutsame Weise beeinflussten, konnte nicht erhärtet werden. Dies hängt weniger mit einer generellen «Unwichtigkeit» der schweizerischen Exportlieferungen und Finanzplatzdienstleistungen als mit der gigantischen wirtschaftlichen Dimension dieses Kriegs sowie mit den vielfältigen Faktoren, welche die Kriegswirtschaft und den Frontverlauf bestimmten, zusammen. Strategische Bombardierung, Kampftaktik der militärischen Protagonisten, Kommunikationssysteme und Informationskrieg sind wichtige Faktoren, auf welche die Schweiz nicht oder zumindest nicht direkt und relevant einwirken konnte. Weder Waffenlieferungen noch die Finanzierung strategischer Rohstoffe hatten damit einen nachweisbaren Effekt auf die Dauer des Kriegs. Die Kommission fand keine Hinweise, die in diese Richtung wiesen. In einzelnen Bereichen wurden die bisher vermuteten Effekte der Unterstützung an Deutschland widerlegt. So waren schweizerische Kugellagerproduzenten zwar eifrige Lieferanten, doch konnten sie die durch den alliierten Bombenkrieg verursachten Ausfälle in keiner Weise kompensieren. Auch kann man angesichts der noch bestehenden deutschen Reserven in der Wirtschaft sowie in Anbetracht der deutschen Entschlossenheit, bis zum bitteren Ende zu kämpfen, nicht den Schluss ziehen, dass der Krieg ohne die Schweiz ein früheres Ende genommen hätte. " Ein deutsches Memorandum hielt im Juni 1943 fest, "die Kriegsmateriallieferungen aus der Schweiz betrügen nur gerade fünf Promille der deutschen Produktion." (UEK, Schlussbericht, a.a.O., S. 543f. Der Text stammt wörtlich von der UEK, ich habe mir aber erlaubt, die wichtigen Sätze daraus durch Fettdruck hevorzuheben)

Prof. Jean-François Bergier über Stuart Eizenstat, den unverbesserlichsten Verfechter der Kriegsverlängerungsthese:
"Offenbar hat er trotz allem überhaupt nichts begriffen. In einem Interview wiederholt er sogar den Vorwurf der Kriegsverlängerung aus seinem ersten Bericht aus dem Jahre 1997. Eizenstat sagt heute: Das stimme zwar faktisch immer noch, sei aber undiplomatisch gewesen. Unsere Kommission hat bekanntlich nichts gefunden, was seine These stützt. ... Offenbar ist unsere Arbeit für ihn gar nicht relevant. Vielleicht ging sie in eine andere Richtung als er sich erhofft hatte." ... Diese Entgleisung "gehört in die Kategorie ähnlicher Pamphlete, vor allem aus dem Jahre 1997. Ich denke an den umstrittenen BBC-Fernsehfilm «Nazigold - Bankgeschäfte mit Mord», in dem praktisch nichts stimmte." (Blick, 16. 12. 2002, S. 3)



Anprangern oder Nachdenken

Die Fragen nach der Rolle der Schweiz waren sicher berechtigt und auch nötig. Hingegen ging bei der Art und Weise, wie in der öffentlichen Diskussion die Versäumnisse und Fehler der Schweizer Behörden und Wirtschaft isoliert in den Vordergrund gerückt wurden, der Blick auf das internationale politsche Umfeld weit gehend verloren. Ebenso wenig wurde klar unterschieden zwischen den einzelnen Verantwortlichen und der grossen Masse des Volkes. Deshalb fühlten sich viele Schweizer, die den Krieg aus einer ganz anderen Sicht erlebt hatten, nicht ernst genommen und zu Unrecht an den Pranger gestellt.

Mitte Dezember 2002 stellte Prof. Bergier die Sache in einem Interview mit der Boulevardzeitung "Blick" dann doch noch klar:
Frage: "Ihre Kommission ging teilweise hart ins Gericht mit dieser Generation.
Bergier: «Das sehen Sie falsch. Wir haben nicht die Schweizer Bevölkerung in dieser schwierigen Zeit kritisiert. Sie war erstaunlich resistent gegen den Nazi-Bazillus. Wir haben die Behörden kritisiert: Sie haben Fehler gemacht. Beispielsweise hat die Nationalbank Fehler bei den Goldgeschäften mit Hitler-Deutschland gemacht. Aber deswegen waren die Verantwortlichen der Nationalbank noch lange keine Nazis.»"
(Blick, 16. 12. 2002, S. 3)

Das geschmacklose Titelbild des Buches "Imperfect Justice" des amerikanischen Ex-Unterstaatssekretärs Stuart Eizenstat (ein Hakenkreuz = Nazi-Symbol aus Goldbarren ist über die Schweizer Fahne gelegt) setzte einer breiten Öffentlichkeit Mitte Dezember 2002 medienwirksam wieder die ebenso plumpe wie falsche Aussage "Schweizer = Nazis" vor und löste damit einen Sturm der Entrüstung aus. Prof. Bergier sah sich zu klaren Worten genötigt: "Das Hakenkreuz ist das Symbol für die Schreckensherrschaft der Nazis, für den Holocaust, den totalen Krieg und die gnadenlose Unterdrückung Andersdenkender. Eizenstat bringt es in Verbindung mit dem Schweizerkreuz. Dieser Link suggeriert, dass die Schweiz im Zweiten Weltkrieg die Komplizin der Nazis war. Das ist nicht nur vollkommen falsch, sondern schlicht und einfach eine Ungeheuerlichkeit." (Bergier im Blick, 16. 12. 2002, S. 3) und: "Die Fahne ist ein Symbol für das Volk. Und das Volk hat mit den Geschäften der Nationalbank nichts zu tun." (Bergier im Tages-Anzeiger, 16. 12. 2002)

Da half es auch nichts mehr, wenn Prof. Georg Kreis, ebenfalls Mitglied der Bergier-Kommission, in der gleichen Ausgabe meinte: "Statt sich über den Deckel eines Buches zu ärgern, das noch niemand gelesen hat, sollte man darüber nachdenken, dass unsere Nationalbank (...) bedenkenlos Nazi-Gold gewaschen hat." Ein grosser Teil des Schweizer Volkes hatte bereits reagiert und sich - wenn auch nicht so offen emotional und nicht so geschlossen wie die USA nach dem berühmten 11. 9. 2001 - hinter seine Fahne geschart. Das zeigte eine online-Umfrage auf www.20min.ch: Die Frage "Darf das Buch so erscheinen?" wurde von der Online-Community mit 77 % Nein beantwortet (Stand 17. 12. 2002 / 11.00 Uhr)

Durch die Mediengeilheit und Provokationslust einzelner Personen, denen es mehr um die eigene Profilierung als um die Wahrheit geht, wurde das berechtigte Anliegen nach Aufarbeitung der Geschichte in der breiten Bevölkerung in den Hintergrund gedrängt. Das Ganze verkam zu einem oberflächlichen Showdown zwischen "Anklägern" und "Verteidigern" der Schweiz, die Positionen verhärteten sich, selbst innerhalb der Bergier-Kommission taten sich Gräben auf - und auf der Strecke blieb der unvoreingenommene, nüchterne Blick auf die geschichtliche Wirklichkeit, die nicht einem einfachen "gut - böse" - Schema entspricht. (Ich mag die Dutzenden von Internet-Seiten, die in gehässigem Ton über die Bergier-Kommission herfallen und die Rolle der Schweiz beschönigen, hier nicht einmal als Belege für diese Aussage verlinken.)

Das Problem ist allerdings nur zum Teil der Bergier-Kommission selbst anzulasten, denn deren Schlussbericht ist ausserordentlich differenziert. Hingegen fehlt eindeutig eine mit vernünftigem Aufwand lesbare Kurzform des Berichtes. Auf immerhin 551 Seiten hätte die Kommission auch Platz für eine klare Schilderung des geschichtlichen Rahmens finden sollen, in den die im Detail untersuchten Vorkommnisse einzuordnen sind.



Schlusswort

Die internationale Staatengemeinschaft als Ganzes und ihre Repräsentanten haben vor und während dem Zweiten Weltkrieg nicht völlig, aber in wichtigen Punkten versagt. Die Schweiz bildete dabei keine Ausnahme. Dies kann als geschichtlich gesicherte Aussage gelten. Im Rückblick darf man allerdings nicht übersehen, dass das Empfinden für Recht und Unrecht erst durch die Gräuel des Zweiten Weltkriegs entscheidend geschärft wurde.

Die Aufgabe unserer Generation besteht darin, aus der Vergangenheit zu lernen und gegen jegliche Unterwanderung der Demokratie durch autoritäre Ideologien wachsam zu bleiben. Besondere Vorsicht ist geboten gegenüber "Führungsansprüchen" aller Art (von einzelnen Staaten, einzelnen Parteien, Wirtschaftsverbänden usw.) und gegen Versuche, die Gewaltenteilung zwischen Volk, Parlament, Regierung und Gerichten aufzuweichen. Nur die gegenseitige Kontrolle ("checks and balances") der gesellschaftlichen Gruppen und der Staaten kann Machtansammlungen und deren Missbrauch verhindern. Die direkte Demokratie der Schweiz ist dafür eine gute Basis - es liegt an uns allen, sie lebendig zu erhalten und das Stimm- und Wahlrecht auch verantwortungsbewusst auszuüben.



Literatur und Links zur Schweizer Geschichte im Zweiten Weltkrieg:

Flüchtlingspolitik, Raubgold, nachrichtenlose Vermögen, Bergier-Kommission:

Geistige Landesverteidigung:

Antisemitismus und Nationalsozialismus:



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